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Der lange Regen

Der lange Regen

Titel: Der lange Regen
Autoren: David Kenlock
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unterscheidet.“ Er hob seine Hand zu einer eindrucksvollen Geste. „Das aber genügt noch nicht. Der Haifisch würde sich durch seine Bewegung, seine Verhaltensweise und durch seine Art zu schwimmen verraten. Was aber, wenn der Hai selbst denkt, er wäre ein Thunfisch? Ich sage es ihnen - die Tarnung wäre perfekt.“ Seine Augen fixierten mich. „Ihre Tarnung ist ebenfalls perfekt. Da Sie selbst nicht ahnten, ein Syntant zu sein, konnten Sie sich auch nicht verdächtig machen. Sie hätten jeden Lügendetektortest mit Bravour bestanden. Und das war wichtig für uns. Verbündete, bereit dazu, über den Schwarm herzufallen, ohne dass sie selbst oder andere von der lauernden Gefahr wussten.“
    Dieser Mistkerl lächelte schon wieder. Am liebsten hätte ich ihm meine Faust ins Gesicht geschmettert. „Ihre Ausführungen klingen ja ganz nett und ich muss sagen - überzeugend, aber Sie haben eine Kleinigkeit vergessen - ich habe ein Alibi für den Mord an Ihrem Sohn. Ich weiß, wo ich gestern gewesen bin.“
    Etwas wie Stolz trat in seine Augen. Ich konnte es sehen. „An Ihnen kann ich erkennen, dass wir wundervolle Arbeit geleistet haben. Sie glauben es selbst jetzt noch nicht. Richtig?“
    „Und ich werde es niemals etwas anderes glauben!“, zischte ich.
    Er seufzte. „Nun gut. Ich wollte Ihnen das ersparen, aber wenn es sein muss.“ Reutter-Schmid nahm eine Fernbedienung vom Tisch, drückte mehrere Knöpfe, und ein vorher schwarzer Bildschirm erwachte zum Leben.
    Die Szene war am Anfang etwas verwackelt, aber dann wurde das Bild scharf. Ich erkannte den kleinen See, an dem mich Reutter-Schmid empfangen hatte. Zwei Menschen waren am Ufer zu sehen. In seltsamer Haltung verbunden, so als wären sie ein Wesen. Der eine Mann hatte den anderen Mann im Genick gepackt und presste seinen Kopf unter Wasser. Die Kamera zoomte heran, und dann offenbarte sich mir die Wahrheit. Es war wie ein Faustschlag in die Magengrube. Meine Knie wurden weich, und ich hatte das Gefühl, mich jeden Augenblick übergeben zu müssen.
    Das Opfer war Götz Erwin Reutter-Schmid und ich war derjenige, der ihn misshandelte. Meine Stimme klang dumpf aus den Lautsprechern.
    „Wer weiß davon? Wem hast Du etwas erzählt?“, brüllte sie.
    Man konnte erkennen, dass Götz versuchte zu antworten, aber die Worte waren unverständlich. Er wehrte sich verzweifelt, aber dann hörte er abrupt auf, sich zu bewegen. Sein Körper wurde schlaff. Mein Alter Ego ließ ihn achtlos zu Boden fallen. Als die Kamera sich auf das Gesicht des Mörders richtete, konnte ich das Grinsen sehen, das um meine Mundwinkel spielte.
    Mit einem erstickten Aufschrei taumelte ich zurück.
    Reutter-Schmids Stimme drang an mein Ohr. „Diese Aufnahme wurde gestern Abend von einer automatischen Kamera aufgezeichnet, die mit Bewegungssensoren ausgerüstet ist. Ich wusste nicht, dass sie im Park waren. Vor einer Woche haben wir Ihr Gedächtnis verändert, so dass Sie erkennen konnten, wer sie wirklich sind. Als ich Ihnen erzählte, dass Götz misstrauisch geworden war, handelten sie selbstständig. Ich konnte es nicht vorhersehen, ansonsten hätte ich es verhindert.“
    Seine Augen suchten meinen Blick, aber ich hielt beschämt den Kopf gesenkt.
    „Wir löschten ihr Gedächtnis wieder und versorgten es mit anderen Informationen. So erschien es uns am sichersten. Die Tat war nicht mehr rückgängig zu machen, und alle Tatumstände deuteten auf einen Syntanten als Mörder hin. Wir konnten die Leiche aber nicht einfach sang- und klanglos verschwinden lassen, Götz hatte täglich Fernsehauftritte. Jemand hätte misstrauisch werden können. Der Mord musste also ein Mord bleiben.“ Er seufzte erneut. „Sie dachten, Sie wären gestern mit einem Freund auf Vergnügungstour gewesen, aber dem war nicht so. Wir haben Ihre Erinnerung durch ein chemisches Mittel geändert. Daher kommen auch Ihre Kopfschmerzen, die Sie wahrscheinlich für einen Kater gehalten haben.“
    Ich kann nicht sagen warum, aber plötzlich verstand ich alles. Seine Geschichte, so unglaublich sie auch klang, war die schlichte Wahrheit. Den Rest konnte ich mir zusammenreimen.
    Irgendwie hatten sie es bewerkstelligt, dass der Fall mir übertragen wurde. Vielleicht war mein Vorgesetzter Westmann einer von ihnen. Sie hatten den einzigen Ermittler auf die Sache angesetzt, von dem sie wussten, dass er schweigen musste.
    Ich war nicht nur ein Syntant, was einem Todesurteil gleichkam, ich war auch noch ein Mörder.
    Reutter-Schmid
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