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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz
Autoren: Merciel Liane
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zu begehen.
    Eine Dorne war im Dorf.
    Ein Rabe, den seine Gier zu früh in die Tiefe gelockt hatte, kam in die Reichweite des Blutnebels. Nebelzungen griffen nach dem Vogel, schlangen sich um ihre Beute, wie von einem lebendigen Wesen geleitet. Sofort kreischte der Rabe auf und mühte sich, dem dunkelroten Nebel zu entfliehen, aber es war zu spät. Bei jedem hektischen Flügelschlag spritzten Blutstropfen von seinen Federn und besprenkelten die Mauern zu beiden Seiten. Auch aus seinen kleineren Federn stieg zischend das Blut, strömte wie rote Dampfschwaden empor und hinein in den scharlachroten Nebel.
    Der Rabe brachte noch drei Flügelschläge zustande, bevor der Nebel das restliche Blut aus seinem Körper gesogen hatte. Dann fiel er merkwürdig langsam durch den Nebel und schlug als ein schlaffer, nasser, gefiederter Lumpen auf dem Boden auf.
    Brys schauderte. Niemand überlebte Blutnebel. Niemand überlebte die Dornen.
    Hinter ihm war der kriechende rote Nebel. Vor ihm sangen die Bogensehnen. Und es gab keinen Ausweg. Überhaupt keinen.
    Er stieg auf sein namenloses Pferd, ließ sich wie ein Kunstreiter aus Jenje weit nach links fallen und zog an Ellyrias Zügeln, sodass die Graue dicht auf dieser Seite blieb. Er musste verhindern, dass Wistan zwischen ihm und dem Pferd zerquetscht wurde, was aber nicht einfach war. Zudem hatte er auch noch ganz andere Sorgen. Brys spitzte die Ohren und lauschte auf das Geräusch der Bogensehnen, und als drei in schneller Folge surrten, trat er seinem braunen Wallach in die Flanken.
    So schnell sie konnten, liefen die Pferde den Hang hinunter, wichen den Verletzten und Toten aus oder trampelten über sie hinweg. Ein Pfeil schürfte Brys das Kinn auf, zog eine Linie heißen Schmerzes hinter sich her und verbrannte ihm mit den Federn das Ohr. Er spürte Ellyria stolpern, als ein weiterer Pfeil sich in die Graue bohrte, und warf die Zügel fort, damit die Stute sein eigenes Pferd nicht mitriss, falls sie stürzte.
    Am Tor spritzten die Bogenschützen auseinander. Sie hatten keine Pieken, um ihn aufzuhalten, und sie hatten bereits gesehen, dass Brys bereit war, Männer rücksichtslos niederzutrampeln, um entkommen zu können. Der Reiter mit dem Morgenstern wich zurück und wollte sich ihm stellen, aber Brys hatte nicht die Absicht, sich hier in einen Kampf verwickeln zu lassen. Das Tor war niedrig und diente dazu, umherwandernde Schafe einzupferchen, nicht bewaffnete Männer draußen zu halten – oder drinnen. Er glaubte, dass er darübersetzen konnte. Hoffte es jedenfalls. Er verlagerte sein Gewicht wieder in die Mitte, schmiegte sich eng an den Rücken des braunen Wallachs und sandte ein stummes Gebet an Celestia, sie solle seine unwürdige Seele behüten.
    Dann spannte sein Pferd die Muskeln an und sprang, und es blieb keine Zeit mehr für Gebete.
    Bei der Landung klapperten ihm die Zähne. Er musste sich mit beiden Armen gegen den Sattel stemmen, damit er Wistan nicht zerquetschte; das Baby schrie in panischer Angst. Brys schmeckte Blut und begriff, dass er sich in die Wange gebissen hatte. Er hörte ein donnerndes Krachen von Knochen oder Holz hinter sich und den Schrei eines verletzten Pferdes, aber er hielt den Blick auf die Straße vor sich gerichtet.
    Ein weiterer Pfeil bohrte sich einen Zoll von Brys’ Oberschenkel entfernt in den Sattel. Dann hatte er die Baumlinie erreicht, der Wald schirmte ihn ab, und er war in Sicherheit.
    Um Atem ringend zog Brys sein Schwert aus der Scheide und lauschte auf etwaige Verfolger. Erst als Minuten verstrichen waren und er sich davon überzeugt hatte, dass niemand Jagd auf ihn machte, stieg er aus dem Sattel des Wallachs und untersuchte das Tier auf mögliche Verwundungen. Es atmete schwer, war aber unverletzt, bis auf einen langen, flachen Kratzer an der linken Schulter.
    »Wenn das so weitergeht, muss ich dir vielleicht doch noch einen Namen geben«, sagte er zu dem Pferd.
    Der Wallach zuckte mit den Ohren und musterte ihn.
    Brys schnaubte, tätschelte dem Pferd mit rauer Zuneigung den Hals und überprüfte dann seine Satteltaschen. Er hatte einen halbvollen Wasserschlauch und genug Essensvorräte für zwei Wochen. Der Herbst war eine gute Jahreszeit für die Nahrungssuche, daher sollte er in der Lage sein, noch länger mit seinen Vorräten auszukommen. Einige Messer, ein Würfelbecher, das Gebetbuch eines reisenden Solaros – alles Dinge, mit denen er sich Geld beschaffen oder die er, falls nötig, auch verkaufen konnte. Kleider zum
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