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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz
Autoren: Merciel Liane
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Bogenschützen gleichzeitig aufnehmen zu können.
    Er ging hinter einem Haus mit niedrigem Dach in Deckung und hielt die Pferde, so ruhig er konnte. Wistan gab so gut wie keinen Laut von sich, und dafür war Brys dankbar; auf keinen Fall durfte er mit diesem Säugling Aufmerksamkeit erregen.
    Die Männer hatten ihn noch nicht gesehen, und wenn doch, so kümmerte es sie nicht. Das verblüffte ihn. Sie schienen überhaupt nicht nach Nachzüglern auf den Straßen Ausschau zu halten. Stattdessen waren ihre Blicke nach oben gerichtet, zu den Dächern des Dorfes, als erwarteten sie ein Zeichen vom Himmel.
    Brys riskierte einen Blick zurück. Der Rauch über dem Dorf war jetzt so dicht, dass er ihm in den Augen brannte und die Sonne verdüsterte. Rußige Flammen züngelten von den reetgedeckten Dächern in unmittelbarer Nähe der Kapelle empor. Zwei Raben kreisten in dem Nebel und bedeuteten ihren Gefährten, dass es bald reiche Beute gäbe. Er konnte nicht erkennen, was das Interesse der Bogenschützen gerechtfertigt hätte.
    Dann ertönte ein zittriger Schrei durch das verrauchte Schweigen hinter ihm. Es war ein hohes, unirdisches Geräusch, das kaum einer menschlichen Kehle entsprungen sein konnte. Die Männer am Tor regten sich wieder und seufzten, als sei etwas, vor dem sie sich lange gefürchtet hatten, schließlich eingetreten; der Fuchshengst tänzelte unbehaglich unter seinem Reiter. Die Bogenschützen spannten ihre Bögen, hielten sie jedoch gesenkt.
    Weitere Schreie durchdrangen die Luft. Angesichts des nackten Entsetzens, das darin erklang, musste Brys sich auf die Zunge beißen, um still zu bleiben. Plötzlich fragte er sich, ob es sehr dumm von ihm gewesen war, hier zu verharren, statt sich einem Hagel von Pfeilen auszusetzen. Aber er konnte keine Gefahr hinter sich erkennen, allerdings den sicheren Tod vor sich, und so hielt er die Zügel fest umklammert und kauerte sich weiter an die Mauer.
    Der Dorfsolaros kam aus einer gewundenen Straße zu seiner Linken gelaufen und rannte den Hügel hinab auf das Tor zu, wobei er sich mit einer Schnelligkeit bewegte, die Brys dem alten Mann niemals zugetraut hätte. Die gelben Roben des Priesters waren blutgetränkt und klebten ihm am Leib, obwohl keine Wunde ihn zu behindern schien. Er hob seine mageren Arme bittend gen Himmel und fiel auf die Knie, als er den Reiter erreichte, der durch das Visier seines Helms auf den Solaros hinabblickte. Ob der Priester als ein Vater des Glaubens oder als ein Mitverschwörer des Massakers flehte, konnte Brys nicht sagen; er fing nur die gequälten Worte »… Ihr habt es versprochen!« auf, die der Wind zu ihm herübertrug.
    Was immer der Reiter versprochen hatte, er antwortete jetzt mit kaltem Stahl. Er schwang seinen Morgenstern. Die dornengespickte Kugel traf den Priester mitten ins Gesicht, warf ihn rückwärts auf die Knie. Zurück blieb ein zuckender Leichnam mit einer Maske aus Blut und zersplitterten Knochen.
    Beim Tod des Verräters verspürte Brys ein Aufflackern heftiger Befriedigung – aber ihm blieb kaum Zeit, es zu fassen, denn da rannten auch schon weitere Dorfbewohner schreiend an ihm vorbei und in die Nebenstraßen, die Augen weit aufgerissen und blicklos vor Angst. Ein kleines Mädchen lief von hinten gegen Ellyria. Die nervöse graue Stute trat aus, traf das Mädchen an der Schulter und schleuderte es hart in den Schmutz. Bevor Brys tröstend eine Hand ausstrecken konnte, rappelte die Kleine sich hoch und lief weiter.
    Er hörte das Sirren einer Bogensehne. Dann folgte eine weitere. Ein Schrei, ein fallender Körper, das Zischen von Pfeilen. Er schaute in die andere Richtung, nicht so sehr besorgt wegen der niederprasselnden Pfeile als vielmehr wegen der Frage, was die Dorfbewohner in diesen tödlichen Hagel getrieben hatte.
    Hinter der Woge fliehender Menschen hatte der Rauch eine rötliche Färbung angenommen. Nein – es war nicht der Rauch, der rot war. Ein roter Nebel erhob sich über den brennenden Dächern. Rote Schwaden krochen durch die Straßen, durch Türen und Fenster und Ritzen in schlecht gekalkten Mauern. Der Geruch von warmem Kupfer drang in seine Nase.
    Mit einem Mal war Brys’ Kehle vor Furcht wie zugeschnürt.
    Blutnebel.
    Er verstand jetzt, warum die Bogenschützen nicht nach Überlebenden Ausschau gehalten hatten, warum sie nur gerade genug Menschen niedergeschossen hatten, damit die anderen auch ja verängstigt in ihren Häusern blieben. Sie brauchten ihre Morde nicht mit Pfeil oder Schwert
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