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Der Krieg der Welten

Der Krieg der Welten

Titel: Der Krieg der Welten
Autoren: H. G. Wells
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Einen Augenblick lang schien die kreisrunde Öffnung völlig schwarz. Der Glanz der sinkenden Sonne blendete meine Augen.
    Ich glaube, jedermann erwartete einen Menschen auftauchen zu sehen - wahrscheinlich ein wenig von uns irdischen Menschen unterschieden, aber im wesentlichen doch einen Menschen. Ich wenigstens erwartete es. Aber als ich genauer hinsah, bemerkte ich plötzlich, wie sich im Schatten etwas rührte, grau, in wellenförmigen Bewegungen, eines über dem andern. Und dann gewahrte ich zwei glühende Scheiben wie Augen. Dann löste sich etwas, das einer kleinen grauen Schlange glich, etwa in der Stärke eines Spazierstockes, aus der sich windenden Masse los und schlängelte sich in der Luft gegen mich - und dann ein zweites.
    Mich durchfröstelte es plötzlich. Hinter mir hörte ich eine Frau laut kreischen. Ich drehte mich halb um, meine Blicke unverwandt auf den Zylinder geheftet, aus dem immer neue Fühler sich herauswanden. Dann begann ich, mir einen Weg vom Rand der Grube zurückzubahnen. Ich sah, wie sich das Erstaunen in den Gesichtern der Leute in Entsetzen verwandelte. Von allen Seiten hörte ich wilde Schreie und Ausrufe. Ein allgemeines Zurückdrängen begann. Ich sah, wie der Kommis sich noch immer abmühte, aus der Grube herauszukommen. Dann sah ich mich allein und bemerkte, wie die Leute auf der anderen Seite der Grube flüchteten, unter ihnen Mr. Stent. Ich wandte mich wieder dem Zylinder zu, und ein unbändiger Schrecken ergriff mich. Wie versteinert stand ich da und starrte.
    Ein großer, grauer, gedrungener Körper, ungefähr von der Größe eines Bären, erhob sich langsam und schwerfällig aus dem Zylinder. Als er sich aufrichtete und vom Licht beschienen wurde, glitzerte er wie nasses Leder. Mit seinen zwei großen, dunkelgefärbten Augen blickte das Geschöpf mich unverwandt an. Es hatte unter den Augen einen Mund, dessen Rand unausgesetzt zitterte und von Speichel troff. Der Rumpf hob und senkte sich unter heftigem Keuchen. Ein schlankes fühlerartiges Anhängsel hielt den Rand des Zylinders umklammert, ein anderes schlängelte sich in der Luft. Wer nie einen lebenden Marsbewohner gesehen hat, wird sich die grauenvolle Häßlichkeit seiner Erscheinung kaum vorstellen können. Der seltsame V-förmige Mund mit seiner zugespitzten Oberlippe, die fehlenden Augenbrauen, das fehlende Kinn unter der keilförmigen Unterlippe, das unaufhörliche Zittern des Mundes, die gorgonenartige Gruppe der Fühler, das geräuschvolle Atmen der Lungen in dieser fremden Atmosphäre, die augenfällige Schwerfälligkeit und Mühseligkeit der Bewegungen (ohne Zweifel eine Folge der größeren Anziehungskraft der Erde), vor allem aber die außergewöhnliche Intensität ihrer ungeheuren Augen - das alles zusammen verursachte eine Übelkeit, als ob man seekrank würde. Es war etwas Schwammiges in ihrer öligen braunen Haut, und in der plumpen Bedächtigkeit ihrer schwerfälligen Bewegungen lag etwas unbeschreiblich Erschreckendes. Schon bei dieser ersten Begegnung, bei diesem ersten Anblick wurde ich von Abscheu und Grauen überwältigt.
    Plötzlich verschwand das Ungetüm. Es war über den Rand des Zylinders getaumelt und in die Grube gefallen, wo es aufschlug, als fiele eine große Menge Leders zur Erde. Ich hörte es einen seltsamen, dumpfen Schrei ausstoßen, und in demselben Augenblick erschien ein zweites dieser Geschöpfe in dem tiefen Schauen der Öffnung.
    Bei diesem Anblick verließ mich die Erstarrung, die der erste Schreck hervorgerufen hatte. Ich kehrte mich um und rannte wie besessen bis zur nächsten Baumgruppe, die etwa hundert Yards entfernt war. Aber ich lief kreuz und quer und stolperte alle Augenblicke, denn ich brachte es nicht über mich, meine Augen von jenen Vorgängen abzuwenden.
    Zwischen einigen jungen Fichten und Ginsterbüschen machte ich keuchend halt, um die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten. Die Weide rings um die Sandhügel war mit Leuten besät, die wie ich trotz des Grauens fasziniert dastanden und auf jene Geschöpfe oder vielmehr auf die Steinhaufen am Kraterrand starrten. Dann sah ich mit erneutem Entsetzen einen runden schwarzen Gegenstand, der an diesem Rand bald auftauchte, bald verschwand. Es war der Kopf jenes Kommis', der in die Grube gefallen war; er hob sich wie ein kleiner schwarzer Gegenstand vom glühenden Abendhimmel ab. Jetzt brachte er Schultern und Knie herauf und wieder schien er zurückzugleiten, bis nur noch sein Kopf sichtbar war. Plötzlich
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