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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Autoren: Ralf Isau
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Zweikampfes nicht abzusehen war, schaltete sich David vorsorglich in das staubige Geschehen ein.
    Mit einer für sein Alter ungewöhnlichen Behändigkeit warf er sich zwischen die beiden Kontrahenten. Seit den Kindheitstagen, als er in die Geheimnisse der japanischen Kampfkünste eingeweiht worden war, hatte er sich eine katzenhafte Geschmeidigkeit bewahrt. Im Grunde verabscheute David jede Art der Gewaltanwendung, doch hin und wieder hatten ihm seine Gegner keine andere Wahl gelassen – und es bitter bereut. Dementsprechend gewandt packte er die beißende und kratzende junge Frau am Kragen und löste sie von dem holzbeinigen Tiger.
    »Seit wann verprügelst du Mädchen?«, fragte David seinen am Boden sitzenden Freund.
    Balu klopfte sich den Schmutz von den Kleidern und linste zu dem zappelnden Wesen an Davids Arm hoch. »Bist du sicher, dass das ein Weib ist, Sahib?«
    David warf einen Blick auf das schmutzige Häuflein Mensch. Seine Gefangene war nur wenig größer als Balu, aber ebenso dünn. Dennoch ließen sich neben den langen schwarzen Haaren noch andere weibliche Attribute ausmachen. »Etwas zu rundliche Formen für einen Knaben«, erwiderte er knapp und schüttelte seine Beute kräftig durch. »Wirst du endlich still halten! Dann gebe ich dich auch frei und muss dir nicht wehtun.«
    Der Widerstand der jungen Frau erlahmte. Als David sie daraufhin losließ, warf sie ihm einige unverständliche Worte an den Kopf, spuckte ihm ins Gesicht und rannte davon. Sie kam nicht weit. Balu hatte seinen Stock über dem Kopf geschwungen und ihn wie eine Streitkeule der Fliehenden hinterhergeschleudert. Der elfenbeinerne Knauf traf sie am Hinterkopf. Die Frau sackte mit verdrehten Augen zu Boden.
    »Sie spricht ein sehr rohes Hindi«, bemerkte Balu seelenruhig.
    David sah den alten Mann verblüfft an, während er sich mit einem Taschentuch den Speichel von der Wange wischte. »Wie hast du das nur gemacht?«
    »In einem meiner früheren Leben musste ich für einen Maharadscha… «
    »Schon gut«, unterbrach David den Freund. »Und was hat sie gesagt?«
    Balu Dreibein wirkte mit einem Mal etwas verlegen. »Nichts, das ein Mädchen in den Mund nehmen sollte.«
    »Du übertreibst.«
    »Dann findest du es also angemessen, wenn sie dich einen ›englischen Bastard‹ schimpft, der ohne Zweifel einem Kuhfladen entstiegen sei, in dem er besser geblieben wäre, weil er nur der Sohn einer dreckigen… «
    »Es reicht! Ich kann mir in etwa vorstellen, wie es weitergeht. Sieh doch mal, ob wir im Auto noch einen Rest Wasser übrig haben.«
    »Eine gute Idee, Sahib. So ein kleiner Kampf kann ganz schön durstig machen.«
    »Das Wasser ist für sie gedacht.« David deutete mit dem Kopf auf die am Boden Liegende.
    »Seit wann gibt man einer Schlange etwas zu trinken, Sahib?«
    Davids Miene war ernst geworden. »Ich habe auf dem Markt in Delhi gut aufgepasst, mein Guter. Die Schlangenbeschwörer behandeln ihre schlanken Tierchen aufmerksamer als manch anderer die Angebetete. Warum tun sie das wohl? Etwa aus Liebe?«
    »Wohl eher, weil ihre Kobras ihnen nützlich sind, Sahib.«
    »Siehst du.« David zeigte auf die junge Frau im Staub. »Und diese da wird uns womöglich auch noch von Nutzen sein. Also, bitte, geh und hol Wasser.«
    »Ich bin fünfundsiebzig Jahre alt, ein geachteter Mann und kein Fanwallah, Sahib!«
    »Kein was!«
    »Kein Lakai, kein Ventilatordreher, der den feinen Herrschaften frische Luft zubläst.«
    »Es geht hier um Wasser, Balu, nicht um Luft. Und ich bitte dich als Freund, nicht als dein Herr.«
    Balu schnaubte etwas, das gut eine Verwünschung auf Hindi oder Urdu hätte sein können, und machte sich verdrießlich daran, Davids Wunsch zu erfüllen. Der seufzte nur und blickte dem alten Kämpen kopfschüttelnd hinterher – das Selbstbewusstsein seines einstigen Leibwächters war in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen.
    Dann wandte sich David wieder dem Mädchen zu. Sie lag reglos im Staub. Ein seltsamer Gedanke kam ihm in den Sinn. Sie könnte gut meine Tochter sein! Und: Hoffentlich hat Balus Keule sie nicht umgebracht.
    Von plötzlicher Sorge getrieben, machte er sich an die Untersuchung des bewusstlosen Mädchens. Er richtete sie in eine sitzende Position auf und seine Finger durchforsteten den Dschungel ihres zerzausten Haarschopfes. Es fand sich zwar eine schnell anschwellende Beule, aber die Haut war nicht aufgeplatzt, aus der Nase der Patientin trat keine helle Flüssigkeit und ihre Augen waren nicht
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