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Der Kofferträger (German Edition)

Der Kofferträger (German Edition)

Titel: Der Kofferträger (German Edition)
Autoren: Gunter Tschauder
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nicht gerne Väter sein wollten. Und so nahm die Zahl der Kinder in seinem Land von Jahr zu Jahr ab. Schon hinter der erfolgreichen Gesellschaft im Alter um die fünfunddreißig Jahre, wie sie sich in der Bar tummelten, klaffte ein nicht wieder aufzufüllendes Loch. Keine Nachkommen. Dafür aber liefen in den Theatern und Schauspielhäusern mehr und mehr Rentner zwischen siebzig und hundert Jahren herum. Der Rest von ihnen befand sich in Hawaii oder in der Südsee. Er stellte sich vor, wie das entstandene Bevölkerungsvakuum von einem Tag auf den anderen die Gäste aus anderen Ländern aufsaugte und die kinderfeindlichen Bewohner hinauskatapultierte.
    Als sein Blick auf die schwere Uhr an der Wand hinter dem Tresen fiel, dachte er erneut an seine vermaledeite Überweisung. Er spülte das ungute Gefühl mit einem Schluck Bier hinunter. Nicht nur die Uhrzeit, auch das genaue Datum zeigte die in sanftem Rot leuchtende Atomuhr über dem Schriftzug „Carpe diem“ exakt an. Freitag, 13. Februar. Schon wieder unglaubliche sechsundzwanzig Jahre nach der Jahrtausendwende waren vergangen. Das entscheidende Ereignis in der deutschen Geschichte aber war die letzte Wahl gewesen. In einem Sturmlauf hatte die PCD, Partei der Christlichen Demokraten, die absolut meisten Parlamentssitze im alten Reichstag erobert. Dieser gewaltige Erdrutsch war nur einem einzigen Manne zu verdanken gewesen, Hans Braunegger, seinem Onkel. In einem Blitzzug hatte er es verstanden, die Regierung zu übernehmen. Und anschließend fast die ganze Welt. Seine steile Karriere war so geradlinig, wie ein Pfeil.
    Erneut wurde Jürgen Schütz von einem nächsten Urquell vor ihm angesprochen. Serviert hatte es das schönste Lächeln dieser neuen Welt. Seine dreißig Euro auf dem Thekentisch zeigten dem Mädel an, mit diesem dritten Bier reichte es ihm nun. Er grinste still in sich hinein. Hier noch immer mit Euro zu bezahlen, war schlichtweg ein Anachronismus. Obwohl sie offiziell seit 2002 abgeschafft war, florierte nicht nur in Deutschland seit ein paar Jahren die DM wieder. Sie wurde mit dem gleichen Wert gehandelt wie der Euro. Inoffiziell, doch mit täglich in den Medien veröffentlichen Kursen. Irgendwie war sie nie untergegangen, waren die Scheine nie vernichtet worden. Wer etwas auf sich hielt, bezahlte in Deutschland mit der DM. Sie war die heimliche Weltwährung. Schwarzgeld und Bestechungen liefen ausschließlich über die DM. Es gab DM Konten bei den Banken, es wurden Kredite in DM vergeben. Vor allem wurden internationale Sicherheiten fast ausschließlich über die DM abgewickelt.
    Erstaunlich, was H.B. so alles geschafft hat, überlegte Schütz angesichts seines neuen Bieres. Europa ist von ihm wie von keinem anderen forciert worden. Als es einigermaßen gesichert war, übernahm er es. Keiner wusste so recht, wie es geschah. Aber es war ein Fakt. Die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main geleitet von einem deutschen Präsidenten; der EU-Präsident, ein Deutscher ebenso wie der EU-Außenminister, der Parlamentspräsident in Strassburg, ein Anhänger von H.B. Der letzte Coup, den er geschafft hatte: Der UN Generalsekretär, ein Deutscher vom Zuschnitt H.B.s. ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates waren seine Jungs schon längst. Wie ihm das gelungen war, wird wohl allen ein Rätsel bleiben. Nur die Herrscher seiner Parteikasse können sich davon ein Bild machen. Dazu zähle ich. Indirekt über die Schatzmeisterei bezahlt Braunegger ein Heer von Informanten. Was hatte die Millionenüberweisung bloß mit seinen Gedanken über des Kanzlers Herrschaftsanspruch zu tun, überlegte Jürgen?
    Warum all diese Typen allein auf des Kanzlers Richtung abfuhren, war ihm nicht so rätselhaft. Andere nannten Brauneggers Privattruppe „Skylobby“. Der Name der dort angesiedelten Meinungsverteidiger bezog sich ursprünglich auf das trichterförmige Treppenhaus im Kanzleramt. Später leiteten ihn gewitzte Spaßvögel von den Meinungsmachern im Himmelreich ab.
    Verabschiedet mit einem versprechenden Lächeln hinter der Theke schlüpfte Schütz in seinen noch nassen Mantel, zwängte sich durch die Kneipengäste und trat in das bunte Reklamelicht hinaus. Die verdammte Überweisung drückte ihm auf den Magen, sie schürte die Glut eines aufkommenden Zweifels, noch verstärkt mit den Würmern an der Leiche des Buchhalters.
    Vielleicht wartete seine Frau Anita in ihrer wohlbehüteten Villa auf ihn. Vielleicht auch nicht zuckte er die Schultern. Anita zeigte
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