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Der Kofferträger (German Edition)

Der Kofferträger (German Edition)

Titel: Der Kofferträger (German Edition)
Autoren: Gunter Tschauder
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Partei.“ Überhaupt hatte er in seinem Onkel den größten Lehrmeister. Wer in seinem Leben etwas werden wollte, war bei ihm gut aufgehoben. Wer seine Ziele noch mit denen des Kanzlers in Einklang bringen konnte, war sich der mächtigsten Unterstützung sicher.
    Jürgen blickte erneut auf die ihm unmöglich erscheinende Zahl auf dem Zettel, fingerte unruhig an seiner Schachtel „ Happy Hour “ herum. Beinahe widerstrebend angelte er sich einen Stängel heraus, den er mit einem Streichholz entflammte.
    Wenn diese verdammte Qualmsucht nicht wäre, quälte er sich, könnte ich zügiger und sauberer arbeiten.
    Sch ... , fluchte er und versuchte erfolglos die herumfliegende Asche wegzuwischen. Die Überweisung war kein größerer Akt, aber irgendwie hatte er gänzlich die Lust verloren. So gönnte er sich einen Blick auf seine „Pierre Lannier“. Auch die nummerierte goldene Taschenuhr aus Paris war ein Geschenk seines Chefs und Schwiegeronkels.
    Altertümliches Gehabe, murmelte er, als er began n die Überweisung auszufüllen, jede Überweisung per Telebanking geht doch viel schneller. Jede?, fragte er sich erneut. Fast jede. Ab und zu durften irgendwelche geheimnisvollen Überweisungen nicht über das Netz laufen. Manchmal musste es unbedingt eine handgeschriebene Überweisung sein, die er persönlich zur Bank und dort selber zum Chefbanker brachte, laut Auftrag seines Chefs. Wenn er an ‚Chef‘ dachte, war es nicht sein direkter Chef, der Schatzmeister, sondern der Chef über allem, Bundeskanzler Hans Braunegger. Von ihm erhielt er stets genaue Anweisungen, weil er seine Nase in die kleinsten Vorgänge hinein steckte, solange es ums Geld ging.
    „Geld ist Macht“, drückte er sich aus, wobei er Geld abfällig „Gras“ nannte.
    „Wenn das Gras stimmt, machst du den Rest stimmend“, deutete er an.
    Für Onkel Hans ist das Geld das Lenkrad der Welt. Er nutzt es, um all seine Ziele zu erreichen, dachte Jürgen.
    Es widersprach seiner eigenen Einstellung. Dabei dachte er an seine Studien.
    „Mach dir nichts daraus, wenn du manches nicht verstehst“, hatte ihn der Kanzler getröstet, „ich behalte den Überblick. Mach du nur sorgfältig, was ich dir sage.“
    Wenn er nur Ausführender zu sein hatte, ohne zu verstehen, was er tat, oder ohne dem zuzustimmen, was er tat, war ihm seine Arbeit zuwider. Genau solche Arbeiten häuften sich in der letzten Zeit. Er fühlte sich wie eine alte Schreibmaschine, auf der andere herumhämmerten. Soll ich aber immer überprüfen, ob alles rechtens ist, was ich tue?
    Mit einem unwirschen Ruck stieß er seinen Bürostuhl zurück und trat ans Fenster. Ein tiefer Zug aus der Zigarette ließ ihn besonnener und gleichgültiger werden. Das ist schon ein seltsames Kraut, stellte er mit einem Blick auf die Zigarette fest. Noch seltsamer aber war es, dass überall in Behörden Rauchverbot herrschte. Eine Ausnahme bildeten die Büros im Kanzleramt.
    Wie nasse Käfer krochen draußen die vielen Menschen unter ihren Regenschirmen über den Bürgersteig der Löbe Allee. Gerade jetzt hatte Jürgen Lust, sich den Käfern anzuschließen. Vom Fenster an seinen Schreibtisch zurückgekehrt, schmiss er den Papierkram in das oberste rechte Fach, verriegelte das Hauptschloss und verließ das Büro. Nur noch die Notbeleuchtung in den Fluren brannte. Nichts ist einsamer und geheimnisvoller als ein stillliegender Büroflur, gruselte es ihn, er atmet Gleichgültigkeit und Geheimnisse.
    In der Garderobe der Etage warteten nur noch wenige Mäntel auf den Heimweg. Wieder einmal gehörte er zu denjenigen, die ihre Arbeit zu wichtig nahmen. In der Stille der Abendstunden rauschte der Lift, dessen Fahrgeräusch tags nicht zu vernehmen war. Am Empfang nickte er dem Nachtwächter freundlich zu.
    „Ich komme noch einmal zurück“.
    „Denken Sie an Ihre junge Frau“, lächelte der Nachtwächter. „Es gibt zu viele Leute, die zu spät an das Wichtigste im Leben denken.“
    Ein gut gemeinter Rat, den er jeden Abend zu hören bekam. Hinter der Drehtür war der Eingang noch mindestens sieben Meter mit Glas überdacht. Erst weiter vorne hasteten die Menschen unter den grauen und schwarzen Schir men über das ‚Forum des Volkes‘. So nannte man die Grünfläche mit darunter liegender U-Bahn-Station zwischen dem Kanzleramt und den Abgeordnetenbüros im Paul-Löbe-Haus nannte. Schon zu den Zeiten des Baus münzten die Berliner den Namen ‚Band des Bundes’ um in ‚Bonzenmeile‘. An ihrem westlichen Ende
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