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Der Kofferträger (German Edition)

Der Kofferträger (German Edition)

Titel: Der Kofferträger (German Edition)
Autoren: Gunter Tschauder
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fühlte sich leichter.
    Er lief zwischen wenigen spielenden Kindern hindurch bis er die kurze Ottostraße hinter sich gelassen hatte und die Oldenburger erreichte. Noch ein paar Meter stakste er mit stockendem Schritt an der gewaltigen Sankt Paulus Kirche vorbei. Schon an der nächsten Kreuzung wandte er sich, vorbei an einem mächtigen gusseisernen Pumpbrunnen, nach links in die Waldenser. Noch ein paar Häuser weiter, schräg gegenüber, erhob sich mit der Nummer 7a, ein sechs geschossiges Gebäude, dessen Fassade erst jüngst überholt worden war. Schon von Weitem konnte der Besucher einen Blick auf den breiten Balkon der Klingenbergschen Penthousewohnung werfen. Das Portal aus dem Ende des 19. Jahrhunderts verlieh dem Gebäude einen gediegenen Charakter. Überhaupt hinterließ das ganze Haus einen freundlichen Eindruck.
    Schütz drückte den obersten Klingelknopf, im Haustelefon meldete sich nach einer Weile Frau Klingenberg.
    „Schütz hier kann ich sie sprechen?“
    Sie hatten sich nicht allzu häufig gesehen, aber oft genug, um die Stimmen gegenseitig zu erkennen. Bis zum obersten Stock nahm er den Aufzug. Der Innenausbau war jünger und moderner als die Wohnung in der Elberfelder, auch wenn die Fassade auf ältere Zeiten verwies. Alles heller und freundlicher. In der Wohnungstür hängten sich die beiden Kinder an ihn. Der fünfjährige Markus hielt ihm eine hölzerne Lokomotive mit einem abgebrochenen Rad entgegen: „Das wird Papa reparieren“, behauptete er stolz.
    Bis auf die Tochter meines Freundes Westenhagen sind es die einzigen Kinder in meinem Bekanntenkreis, überlegte Schütz. Ausgerechnet ihr Vater hat sich erhängt.
    Frau Klingenberg bat ihn herein, hieß ihn im Wohnzimmer Platz nehmen. Er quälte sich hüftsteif in den Wohnraum und ließ sich schwer auf die hart gepolsterte Couch fallen.
    Von seinem Platz aus hatte er durch die großen Fenster nach Südosten einen umfassenden Blick auf den Spreebogen mit seinen Regierungsgebäuden. Ein wenig weiter rechts nach Süden thronte der Friedensengel auf der Siegessäule am großen Stern. Schütz zuckte zusammen, als ihn Frau Klingenberg aus seinen Gedanken riss und nach seinem Wunsch fragte. Kaffee oder Tee? Nein, er wollte nur ein Glas Wasser. Frau Klingenberg erfüllte seinen Wunsch und schickte die Buben in das Kinderzimmer.
    Eine attraktive Frau dachte Schütz. Etwa Mitte dreißig, sie ist wohl gewohnt mit den täglichen Problemen von Kindeserziehung, Haushalt und den Sorgen des Mannes umzugehen. Ihr volles mittelblondes Haar schlug über ihrer Stirn eine verwegene Welle, unter der sich feine, sehr frauliche Gesichtszüge zeigten.
    „Gibt es etwas Neues von meinem Mann“? , fragte sie mit tonloser Stimme. „Haben Sie ihn gefunden?“
    Obwohl er gerade deswegen hier war, suchte Schütz verzweifelt nach den richtigen Worten. Sie fragte umgehend:
    „Wo haben Sie ihn gefunden?“
    „In der Elberfelder.“
    Sie kannte diese Parteiwohnung gut genug, war manchmal mit ihrem Mann zur Betreuung dort gewesen.
    „Wie haben sie ihn umgebracht?“
    Die Frage ließ Schütz erschauern. Damit hatte er nicht gerechnet.
    „Wieso umgebracht? Er, er hat sich erhängt.“ Wie dumm seine Antwort war.
    „Diese Schweine“, entfuhr es der Frau. „Sie haben ihn vergiftet und dann aufgehängt.“
    Sie blieb merkwürdig ruhig. „Wann ist das gewesen?“
    „Der Arzt meint, er hinge seit etwa vierzehn Tagen dort.“ Schütz ärgerte sich wieder über seine Aussage, die jeglicher Pietät entbehrte.
    Nun brach die Frau zusammen und schluchzte hemmungslos. Unter Tränen und mit dauernden Unterbrechungen fuhr sie fort:
    „Mein Gott, so lange und niemand hat sich um ihn gekümmert. Wie grauenvoll, warum hat man ihn erst heute gefunden?“
    Sie beugte sich in ihren Schoß und heulte hemmungslos. Er hockte auf der Couch, schaute ihr zu und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Was könnte er bei dieser Familientragödie noch tun? Jürgen Schütz kam sich hilflos und unnütz vor. Wie automatisch griff er nach der Zigarettenschachtel auf dem Tisch. Dort lag seine Marke.
    „Darf ich?“ , fragte er.
    Sie schaute unwillig auf.
    „Was?“
    „Darf ich eine rauchen?“
    „Nehmen Sie alle mit. Ich weiß nicht, warum er die Zigaretten überhaupt mitgebracht hat. Er rauchte nicht. Mein Mann sagte immer, dahinter steckt mehr als die Sucht nach Nikotin. Ich habe nie verstanden, was er damit meinte. Ich werde nie wieder danach fragen können.“
    Schütz angelte einen Stängel
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