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Der Klient

Titel: Der Klient
Autoren: John Grisham
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Mark schüttelte angewidert den Kopf, wendete den Blick aber nicht von dem Wagen ab. Kleine Brüder machten mehr Probleme, als sie wert waren. »Hör auf«, knurrte er zwischen zusammengebissenen Zähnen.
    »Ich habe Angst.«
    »Gut. Aber rühr dich nicht von der Stelle, okay! Hast du gehört? Rühr dich nicht von der Stelle. Und hör auf zu heulen.« Mark war wieder auf Händen und Knien, tief im Unkraut, und bereitete sich darauf vor, abermals durch das hohe Gras zu kriechen.
    »Laß ihn doch einfach sterben, Mark«, flüsterte Ricky schluchzend.
    Mark funkelte ihn über die Schulter hinweg an und machte sich auf den Weg zu dem Wagen, dessen Motor nach wie vor lief. Er kroch so langsam und behutsam durch den bereits entstandenen Pfad aus leicht niedergedrücktem Gras, daß sogar Ricky, jetzt mit trockenen Augen, ihn kaum sehen konnte. Ricky beobachtete die Fahrertür, wartete darauf, daß der Verrückte herauskam und Mark umbrachte. Er hockte in Sprinterhaltung auf den Zehenspitzen, um notfalls blitzschnell in den Wald flüchten zu können. Er sah, wie Mark unter der hinteren Stoßstange zum Vorschein kam, sich mit einer Hand an der Heckleuchte abstützte und mit der anderen langsam den Schlauch aus dem Auspuff zog. Das Gras knisterte leise und bebte ein wenig, und dann war Mark wieder neben ihm, keuchend und schwitzend und seltsamerweise vor sich hinlächelnd.
    Sie saßen wie zwei Insekten im Gestrüpp und beobachteten den Wagen.
    »Was ist, wenn er wieder herauskommt?« fragte Ricky. »Und was ist, wenn er uns sieht?«
    »Er kann uns nicht sehen. Aber wenn er in diese Richtung kommt, lauf einfach hinter mir her. Wir sind weg, bevor er auch nur ein paar Schritte getan hat«
    »Warum verschwinden wir nicht jetzt gleich?«
    Mark starrte ihn wütend an. »Ich versuche, ihm das Leben zu retten, okay? Vielleicht, aber nur vielleicht, stellt er fest, daß es nicht funktioniert, und vielleicht entschließt er sich dann, es vorerst zu lassen oder sonst etwas. Warum ist das so schwer zu begreifen?«
    »Weil er verrückt ist. Wenn er sich selbst umbringen will, dann kann er auch uns umbringen. Warum ist das so schwer zu begreifen?«
    Mark schüttelte frustriert den Kopf, und plötzlich ging die Tür wieder auf. Der Mann torkelte aus dem Wagen, knurrend und Selbstgespräche führend, und stapfte durch das Gras zum Heck. Er ergriff den Schlauch, starrte ihn an, als wäre er ein ungezogenes Gör, und ließ den Blick langsam auf der kleinen Lichtung herumwandern. Dann schaute er nach unten und erstarrte, als er plötzlich begriff. Um das Heck des Wagens herum war das Gras leicht zu Boden gedrückt, und er kniete nieder, als wollte er es inspizieren; doch dann rammte er statt dessen den Schlauch wieder in den Auspuff und eilte zu seiner Tür zurück. Es schien ihn nicht zu kümmern, ob jemand ihn von den Bäumen aus beobachtete. Er wollte nur sterben, und das möglichst schnell.
    Die beiden Köpfe erhoben sich gleichzeitig über das Gestrüpp, nur ein paar Zentimeter. Eine unendliche Minute lang lugten sie durch das Gras hindurch. Ricky war bereit, loszurennen, aber Mark dachte nach.
    »Mark, bitte, wir wollen fort von hier«, flehte Ricky. »Er hätte uns beinahe gesehen. Was ist, wenn er einen Revolver hat oder so etwas Ähnliches?«
    »Wenn er einen Revolver hätte, würde er ihn für sich selbst benutzen.«
    Ricky biß sich auf die Lippen, und seine Augen wurden wieder feucht. Er hatte in einer Diskussion mit seinem Bruder noch nie die Oberhand behalten, und es würde auch diesmal nicht anders sein.
    Eine weitere Minute verstrich, und Mark begann zu zappeln. »Ich versuche es noch ein letztes Mal, okay? Und wenn er dann immer noch nicht aufgibt, verschwinden wir. Ich verspreche es. Okay?«
    Ricky nickte widerstrebend. Sein Bruder ließ sich auf den Bauch nieder und kroch durch das Unkraut in das hohe Gras. Ricky wischte sich mit seinen schmutzigen Fingern die Tränen vom Gesicht.
    Die Nüstern des Anwalts weiteten sich, als er tief einatmete. Dann atmete er langsam aus und starrte durch die Windschutzscheibe, während er sich darüber klarzuwerden versuchte, ob schon etwas von dem tödlichen Gas in sein Blut gelangt war und begonnen hatte, sein Werk zu tun. Auf dem Sitz neben ihm lag eine geladene Pistole, und in der Hand hielt er eine halbgeleerte Flasche Jack Daniels. Er nahm einen Schluck, schraubte die Kappe wieder auf und legte die Flasche auf den Sitz. Er atmete langsam ein und schloß die Augen, um das Gas zu
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