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Der Klient

Titel: Der Klient
Autoren: John Grisham
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entfernt. Sie behielten ihn genau im Auge. Er hatte Nummernschilder von Louisiana.
    »Was macht er?« flüsterte Ricky.
    Mark lugte durch das Unkraut. »Pst!« In der Wohnwagensiedlung hatte er Geschichten gehört von Teenagern, die sich in diesem Wald mit Mädchen trafen und Pot rauchten, aber dieser Wagen gehörte keinem Teenager. Der Motor verstummte, und der Wagen stand eine Minute lang einfach im Wald. Dann ging die Tür auf, und der Fahrer stieg aus und schaute sich um. Es war ein dicklicher Mann in einem schwarzen Anzug. Sein Kopf war groß und rund und haarlos bis auf säuberliche Strähnen über den Ohren und einen schwarz und grau melierten Bart. Der Mann stolperte zum Heck des Wagens, hantierte mit den Schlüsseln und öffnete schließlich den Kofferraum. Er holte einen Gartenschlauch heraus, schob das eine Ende in das Auspuffrohr und steckte das andere durch einen Spalt am rechten Heckfenster. Dann machte er den Kofferraum zu, schaute sich wieder um, als rechnete er damit, daß ihn jemand beobachtete, und verschwand im Wagen.
    Der Motor wurde angelassen.
    »Wow«, sagte Mark leise, ohne den Blick von dem Wagen abzuwenden.
    »Was macht er?«
    »Er versucht, sich umzubringen.«
    Ricky hob den Kopf ein paar Zentimeter, um besser sehen zu können. »Das verstehe ich nicht, Mark.«
    »Halt den Kopf unten. Siehst du den Schlauch? Die Abgase aus dem Auspuff gehen in den Wagen, und die bringen ihn um.«
    »Du meinst Selbstmord?«
    »Ja. Das habe ich einmal in einem Film gesehen.«
    Sie drückten sich tiefer ins Unkraut und starrten auf den Schlauch, der vom Auspuff zu dem Fenster führte. Der Motor schnurrte im Leerlauf.
    »Warum will er sich denn umbringen?«
    »Woher soll ich das wissen? Aber wir müssen etwas tun.«
    »Ja, so schnell wie möglich von hier verschwinden.«
    »Nein. Halt endlich den Mund.«
    »Ich verschwinde, Mark. Du kannst zusehen, wie er stirbt, wenn du willst, aber ich haue ab.«
    Mark packte seinen Bruder bei der Schulter und drückte ihn wieder hinunter. Rickys Atem ging schwer, und sie schwitzten beide. Die Sonne versteckte sich hinter einer Wolke.
    »Wie lange dauert es?« fragte Ricky mit bebender Stimme.
    »Nicht sehr lange.« Mark gab seinen Bruder frei und ließ sich auf alle viere nieder. »Du bleibst hier, okay? Wenn du dich von der Stelle rührst, bekommst du einen Tritt in den Hintern.«
    »Was hast du vor, Mark?«
    »Du bleibst hier. Verstanden?« Mark senkte seinen schmalen Körper fast auf den Boden und kroch auf Händen und Knien durch das Unkraut auf den Wagen zu. Das Gras war trocken und mindestens einen halben Meter hoch. Er wußte, daß der Mann ihn nicht hören konnte, aber er machte sich Sorgen, weil sich die Halme bewegten. Er hielt sich direkt hinter dem Wagen und glitt wie eine Schlange auf dem Bauch voran, bis er sich im Schatten des Kofferraums befand. Er streckte die Hand aus, zog vorsichtig den Schlauch aus dem Auspuffrohr und ließ ihn zu Boden fallen. Den Rückweg legte er etwas schneller zurück, und Sekunden später war er wieder neben Ricky. Sie hockten in dem dichteren Gras und Gestrüpp unter den äußeren Ästen des Baumes, warteten und beobachteten. Mark wußte, wenn sie entdeckt wurden, konnten sie an dem Baum vorbeischießen und auf ihrem Pfad verschwunden sein, bevor der dickliche Mann sie erwischen konnte.
    Sie warteten. Fünf Minuten vergingen, aber ihnen kam es vor wie eine Stunde.
    »Was meinst du? Ob er tot ist?« flüsterte Ricky. Seine Stimme war trocken und schwach.
    »Ich weiß es nicht.«
    Plötzlich ging die Tür auf, und der Mann kam heraus. Er weinte und murmelte vor sich hin und taumelte zum Heck des Wagens, wo er den Schlauch im Gras liegen sah, und fluchte, als er ihn wieder in den Auspuff schob. Er hatte eine Whiskeyflasche in der Hand und warf einen verstörten Blick auf die Bäume, dann kehrte er stolpernd und immer noch vor sich hinmurmelnd in den Wagen zurück.
    Die Jungen beobachteten ihn voller Grausen.
    »Er ist total übergeschnappt«, sagte Mark leise.
    »Laß uns von hier verschwinden«, sagte Ricky.
    »Das können wir nicht. Wenn er sich umbringt, und wir haben es gesehen, dann können wir eine Menge Ärger bekommen.«
    Ricky hob den Kopf, als wollte er den Rückzug antreten. »Dann verraten wir es eben niemandem. Komm schon, Mark!«
    Mark packte ihn wieder bei der Schulter und drückte ihn nieder. »Bleib unten! Wir verschwinden erst, wenn ich sage, daß wir verschwinden!«
    Ricky schloß die Augen und begann zu weinen.
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