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Der kleine Koenig Dezember

Titel: Der kleine Koenig Dezember
Autoren: Axel Hacke
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gegangen bist, wachst du auf und bist die ganze Nacht, was du wirklich bist. Mal ein Pilot und mal ein Ruderer und mal ein Wasweißich. Ist es nicht besser so herum?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Wieso?«
    »Es ist abwechslungsreicher«, sagte der König. »Und die Nacht wird wichtiger, und alles, was man am Tag tut, ist nicht mehr so bedeutend, und es kommt nicht mehr so drauf an. Der Tag ist eben nur ein Traum.«
    »Glaubst du?«, sagte ich.
    »Du warst vorhin wach, als du zu mir kamst«, sagte der König.»Und jetzt bist du immer noch wach. Aber du liegst in einem kleinen Zimmer mit einem winzigen König und bist selber noch winziger. Das kann nicht die Wirklichkeit sein, oder?«
    »Gibt es einen Beweis?«, fragte ich.
    »In Wirklichkeit«, sagte der König Dezember, »gibt es keine Könige wie mich.«
    »Träumst du jetzt, oder bist du wach?«, fragte ich.
    Der König lächelte und sagte: »Du träumst mich, und ich träume dich.«
    »Oder umgekehrt«, sagte ich.
    »Ja«, sagte der König.
    »Aber du bist doch wach?«, sagte ich. »Du schläfst doch nicht.«
    »Woher willst du das wissen?«, sagte er.
    Ich ächzte leise. Dann sagte ich: »Schwierig, das alles.«
    »Nur verwirrend«, sagte der König. »Nicht schwierig.«
    Er war die ganze Zeit wieder umhergegangen, aber nun blieb er stehen, der kleine, fette König, und schaute mich lange ganz fest an. Von oben nach unten schaute er, denn ich lag ja immer noch auf dem Fußboden. Ich schaute lange zurück, so lange, bis ich ganz müde wurde von seinem Blick. Die Augen fielen mir zu. Ich schlief auf dem Fußboden des kleinen Zimmers ein, und das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist die kleine Schachtel, die auf dem Nachtschrank des Königs Dezember lag: eine offene rote Schachtel mit lauter goldenen Kronen bedruckt, und der Deckel lag daneben. Ich hatte sie die ganze Zeit über gar nicht bemerkt.
    D er König Dezember ist ein Frühaufsteher. Morgens, wenn ich mich an den Frühstückstisch setze, ist er oft schon da, hockt mitten auf der Schlagzeile der Zeitung und verdeckt genau drei Buchstaben, so dass ich zum Beispiel statt »Bundeskanzler« nur »Bundeskanz« lesen kann und dann den kleinen, fetten König sehe. Meistens sitzt er aber im Brotkorb, neben dem Toast, und wärmt sich auf. Ich glaube, es ist ziemlich kalt in dem Ritz hinter dem Bücherschrank, auch wenn man einen dicken Mantel aus Samt trägt.
    »Geh vom Toast weg«, sagte ich neulich, »sonst esse ich dich aus Versehen noch mit.«
    »Mir ist so langweilig«, sagte er. Ich dachte, dass er bestimmt schon wieder ein ganzes Stückchen kleiner geworden war, seit ich ihn das erste Mal gesehen hatte, und dass er nur noch ein Stückchen länger war als mein kleiner Finger.
    »Iss halt ein Gummibärchen«, sagte ich.
    »Hab ich schon.«
    »Dann klettere zwischen den Büchern umher.«
    »Bin ich schon.«
    »Dann räum die Schachteln mit deinen Träumen auf.«
    »Hab ich schon.«
    »Dann weiß ich auch nichts.«
    »Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
    »Ich will in Ruhe frühstücken.«
    »Nie nimmst du mich mit.«
    »Wohin soll ich dich denn mitnehmen?«
    »Das weiß ich doch nicht. Du hast mich ja noch nie mitgenommen. Woher soll ich wissen, ob es schön ist draußen, und ob ich dort sein möchte? Wohin gehst du jeden Tag nach dem Frühstück?«
    »Ins Büro«, sagte ich. »Ich gehe die Corneliusstraße hinunter zum Gärtnerplatz, dann über die Blumenstraße und den Jakobsplatz zur Sendlinger Straße. Das mache ich jeden Tag, und abends gehe ich zurück – immer derselbe Weg und immer dasselbe Büro.«
    »Und was machst du im Büro?«, fragte er.
    »Ich befasse mich mit der Wirklichkeit«, sagte ich. »Die meisten Leute, die in Büros sitzen, befassen sich dort mit der Wirklichkeit.«
    »Nimm mich mit«, sagte der König.
    »Heute habe ich meinen freien Tag«, sagte ich. »Da bleibe ich hier.«
    »Lass uns trotzdem gehen!«, rief der König.
    »Was soll ich an meinem freien Tag im Büro?«, fragte ich.
    »Gibt es denn heute keine Wirklichkeit?«, fragte der König.
    »Doch«, sagte ich, »aber heute befassen sich die anderen im Büro damit. Ich entspanne mich, damit ich morgen wieder frisch bin.«
    »Dann hast du heute einen wirklichkeitsfreien Tag!«, rief derKönig und schlug mit der Faust so begeistert auf den Rand meines Tellers, dass die Gabel klirrte. »Hey, wir müssen ja nicht ins Büro gehen. Wir können vorher wieder umkehren. Aber wenigstens den Weg dorthin könntest du mir mal
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