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Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Titel: Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
Autoren: Elisabeth Büchle
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Herr Martin – Norah Casey.“
    Richard begrüßte das Mädchen, das ihm fröhlich lachend die Hand reichte, und überlegte dabei, ob er die junge Dame einfach duzen sollte. Mit einem Blick in ihre dunklen, fast schwarzen Augen entschied er sich jedoch dagegen. In ihnen meinte er eine Tiefe und Lebenserfahrung zu sehen, die nicht recht zu ihrem jugendlichen Erscheinungsbild passen wollte.
    „Jetzt lasst Norah doch erst einmal richtig ankommen. Bitte, Edwin, sorge dafür, dass sie ihr Zimmer gezeigt bekommt, damit sie sich frisch machen kann. In etwa einer Stunde werden wir die Abendmahlzeit einnehmen.“
    Herr Welte übersetzte die auf Deutsch gesprochen Worte seiner Frau, und währenddessen grinste das Mädchen vor sich hin – eindeutig frecher, als Richard es jemals bei einer weiblichen Person gesehen hatte. Dieses Lächeln irritierte ihn zutiefst, zumal sich dabei in ihren Wangen zwei tiefe Grübchen bildeten, die den Eindruck aufmüpfiger Heiterkeit noch verstärkten.
    Richard folgte den dreien in die Eingangshalle des Hauses. Er war schon des Öfteren bei den Weltes zu Gast gewesen, doch an diesem Tag erschien ihm das Gebäude größer und die Einrichtung noch exklusiver als zuvor. Vielleicht lag es an den eigens für den Gast auf Hochglanz polierten Möbeln oder daran, dass dieses Mädchen mit seinem einfachen Reisekleid und der abgeschabten Reisetasche in der Hand einen starken Kontrast zu der edlen Ausstattung darstellte.
    Richard zog sich etwas verlegen seine Anzugjacke glatt und blieb im Eingangsbereich stehen, während die anderen auf die große, geschwungene Treppe zusteuerten. Eigentlich wurde er jetzt nicht mehr gebraucht.
    Frau Welte hatte offensichtlich denselben Gedanken, denn sie drehte sich zu ihm um. „Danke, Herr Martin, dass Sie so kurzfristig herübergekommen sind, um Norah zu begrüßen. Im Moment brauchen wir Sie hier nicht mehr. Sie können sich wieder Ihrer Arbeit widmen.“
    Richard sah über die Schulter von Frau Welte hinweg, wie Norah stehen blieb und sich flink nach ihm umdrehte. Sie musterte ihn einen Moment, wandte sich anschließend an ihren Onkel und sagte, sie habe nicht das Bedürfnis, sich auszuruhen, sondern würde gern noch heute seine Fabrik und das umliegende Gelände besichtigen.
    Herr Welte sah etwas hilflos drein, als er sich an seine Frau wandte, aber Norah ließ dem Ehepaar nicht die Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Sie stellte die Tasche an den Fuß der nach oben führenden Treppe und eilte mit weit ausholenden Schritten zu Richard hinüber.
    „Am liebsten möchte ich jetzt gleich alles sehen“, verkündete sie mit ihrem gälischen Akzent und stürmte an Richard vorbei, als wolle sie die Flucht ergreifen.
    Frau Welte blickte der jungen Frau mit hochgezogenen Augenbrauen nach, während ihrem Mann tatsächlich der Mund offen stand. Richard hingegen zuckte hilflos mit den Schultern und drehte sich um, wobei er ein amüsiertes Lächeln nicht unterdrücken konnte.
    Als er auf die breite Außentreppe trat, war Norah schon in Richtung der benachbarten Fabrikgebäude unterwegs, und er musste zügig laufen, um sie einzuholen. Das Mädchen quittierte seine Anwesenheit mit einem Lächeln, ohne ihre Geschwindigkeit zu verlangsamen.
    „Wie werden diese Musikrollen für die pneumatischen Instrumente hergestellt? Von wem wurden sie bespielt? Wie viele Arbeiter sind hier beschäftigt, und wohnen sie auch auf dem Gelände oder in der Umgebung? Wohin werden die Instrumente geliefert? Werden sie hier vor Ort zusammengebaut oder erst an ihrem Ankunftsort?“, bestürmte sie ihn – in gutem, wenn auch nicht akzentfreiem Deutsch, und brachte ihn damit erneut zum Staunen.
    Jemand, der in solch schneller Abfolge so viele deutsche Fragen aneinanderreihen konnte, würde wohl kaum seine Deutschkenntnisse auffrischen müssen oder einen Dolmetscher benötigen. Aus welchem Grund also war er von seiner wichtigen Arbeit abgezogen worden, um das Mädchen zu betreuen? Versuchte man ihm auf diese Weise die Entwicklung eines neuen Welte-Pianos abzunehmen, sie womöglich einem anderen Instrumentenbauer zu übertragen, ohne dies offen kundzutun?
    Richard atmete tief durch und versuchte, gegen dieses ewige Misstrauen anzukämpfen. Er durfte nicht immerzu nur das Negativste annehmen. Das hatte ihm seine Mutter schon vor Jahren empfohlen, obwohl auch sie kräftig vom Schicksal gebeutelt worden war. Er verkniff sich einen Kommentar und ging voran, um Norah höflich die Tür zur Werkshalle zu
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