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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens
Autoren: Patricia Cornwell
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sofort auf.
    »Es gibt keinen Termin, den ich nicht verschieben kann«, fügte sie hinzu. »Außerdem« - sie lächelte - »bekommen wir einen letzten Hauch von Indian Summer. Am Wochenende soll es wunderschön werden, fast dreißig Grad und blauer Himmel. Die Blätter sind jetzt am buntesten, die Pappeln goldgelb. Die Ahornbäume sehen aus, als stünden sie in Flammen. Und übrigens ist Halloween. Sie können eine Fratze in einen Kürbis schnitzen.«
    Ich holte mein Kostümjackett und die Schuhe aus meinem Spind. »Sie hätten Juristin werden sollen«, sagte ich.

Kapitel 2
    Am nächsten Tag war das Wetter genau so, wie Rose es vorausgesagt hatte, und ich wachte in Hochstimmung auf. Als die Geschäfte öffneten, zog ich los, um Süßigkeiten für Halloween und Sachen fürs Abendessen einzukaufen. Zuerst fuhr ich die Hull Street hinaus zu meinem Lieblingsgartencenter. Die Sommerpflanzen um mein Haus herum waren längst verblüht, und ich konnte den Anblick der toten Stängel in den Blumentöpfen nicht mehr ertragen. Nach dem Mittagessen schleppte ich Säcke voll Blumenerde, Kisten voller Pflanzen und eine Gießkanne auf meine Veranda.
    Ich öffnete die Tür, damit ich draußen Mozart hören konnte, während ich vorsichtig Stiefmütterchen in ihr fruchtbares neues Bett setzte. Der Brotteig war am Gehen, der Eintopf köchelte auf dem Herd, und der Duft von Knoblauch, Wein und Lehmboden stieg mir beim Arbeiten in die Nase. Marino wollte zum Essen kommen, und wir würden Schokoriegel an meine Furcht einflößenden kleinen Nachbarn verteilen. Bis drei Uhr fünfunddreißig war die Welt noch in Ordnung, doch dann vibrierte der Pieper an meiner Taille.
    »Mist«, fluchte ich. Er zeigte die Nummer meines Auftragsdienstes an.
    Ich eilte ins Haus, wusch mir die Hände und griff nach dem Telefon. Der Auftragsdienst gab mir die Nummer eines Detective Grigg vom Sheriffs Department von Sussex County, und ich rief ihn postwendend zurück.
    »Grigg«, sagte ein Mann mit tiefer Stimme.
    »Hier ist Dr. Scarpetta«, sagte ich und starrte dabei trübsinnig aus dem Fenster auf die großen Terrakottatöpfe auf der Veranda und den toten Hibiskus darin.
    »Ah, sehr gut. Danke für den schnellen Rückruf. Ich steh' hier mit meinem Handy, deshalb will ich's kurz machen.« Er sprach langsam und mit dem rhythmischen Akzent der alten Südstaaten.
    »Wo genau ist hier?« fragte ich.
    »Auf der Atlantic-Waste-Deponie an der Reeves Road. Geht von der 460 East ab. Man hat hier etwas zutage gefördert, das Sie sich bestimmt ansehen möchten.«
    »Doch nicht so etwas, wie man es an ähnlichen Orten schon mehrfach gefunden hat?« fragte ich sibyllinisch, und der Tag schien sich zu verdunkeln.
    »Sieht ganz danach aus, fürchte ich«, sagte er.
    »Sagen Sie mir, wie ich hinkomme, und ich fahre gleich los.«
    Ich trug schmutzige Drillichhosen und ein FBI-T-Shirt, das mir meine Nichte Lucy geschenkt hatte. Zum Umziehen hatte ich keine Zeit. Wenn ich den Leichnam nicht vor Einbruch der Dunkelheit barg, würde er bis zum Morgen bleiben müssen, wo er war, und das war inakzeptabel. Ich schnappte mir meine Arzttasche und schoss zur Tür hinaus. Erde, Kohlpflanzen und Geranien ließ ich über die Veranda verstreut liegen.
    Natürlich hatte mein schwarzer Mercedes kaum noch Benzin im Tank. Ich hielt erst einmal bei Amoco und tankte, dann machte ich mich auf den Weg.
    Die Fahrt hätte normalerweise eine Stunde gedauert, doch ich fuhr schneller als erlaubt. Das schwächer werdende Licht schimmerte weiß auf der Unterseite der Blätter, und auf Höfen und in Gärten stand braun der Mais. Auf den Feldern kräuselten sich grüne Sojabohnenmeere, und Ziegen grasten ungehindert in den Gärten dahindämmernder Einfamilienhäuser. Grellfarbige, mit bunten Kugeln bestückte Blitzableiter ragten aus jedem Giebel und an jeder Ecke hervor, und ich fragte mich immer, welcher Bauernfänger hier sein Unwesen getrieben und dermaßen Kapital aus den Ängsten der Bewohner geschlagen hatte.
    Bald kamen die Getreidesilos in Sicht, nach denen Ausschau zu halten Grigg mich angewiesen hatte. Ich bog in die Reeves Road ein und kam an winzigen Backsteinhäuschen und Wohnwagensiedlungen mit Pick-up-Trucks und Hunden ohne Halsband vorbei. Reklametafeln warben für Mountain Dew und das Virginia Diner. Rote Staubwolken stiegen von meinen Reifen empor wie Rauch, als ich über Bahngleise holperte. Vor mir auf der Straße hackten Bussarde auf Lebewesen ein, die nicht schnell genug gewesen
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