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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes
Autoren: Tatjana Stepanowa
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das Gewehr zurück, verschwindet spurlos zu der Haltestelle, steigt ein und fährt los. Autos werden gnadenlos gefilzt, hat er mir beigebracht, da kann es schnell ungemütlich werden. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind sicherer.«
    »Und wohin fährt er?«
    »Meist mietet er sich für zwei Tage, manchmal für eine Woche eine Wohnung oder ein Haus. Er setzt sich in den Bus oder die Bahn, fährt ein paar Stationen, steigt aus und wartet in aller Ruhe ab – manchmal vierundzwanzig Stunden, manchmal länger. Dann fährt er zu einer anderen Adresse – meist hat er mehrere in Reserve.« Der Hai verstummte und atmete tief durch. Er erinnerte an einen Ball, aus dem man die Luft gelassen hat.
    Chalilow brummte viel sagend, zögerte einen Moment, reichte ihm dann aber die Spritze. Krampfhaft stach der Hai sich die Nadel in den Unterarm und lehnte sich dann völlig ermattet im Sitz zurück. Allmählich ging sein Atem wieder gleichmäßig.
    »Hunde seid ihr trotzdem«, flüsterte er müde, »ich hasse euch.«
    Kolossow besprach sich im Flüsterton kurz mit seinen Leuten und erteilte ein paar Anweisungen; dann fuhr der Geländewagen mit dem Hai wieder davon.
    »In sieben Minuten schläft er ein.« Chalilow blickte auf die Uhr. »Er wird gar nicht mehr richtig kapieren, was ihm geschehen ist.«
    Anstelle einer Dosis Heroin hatte der Hai eine Lösung aus Dimedrol und Reladorm bekommen. Die Dosierung des Schlafmittels war so hoch, dass sie selbst einen Stier umgeworfen hätte.
    Die ganze Sache hatte beim Chef der Mordkommission einen widerlichen Nachgeschmack hinterlassen, doch die Operation hatte ihren Zweck erfüllt. Während Chalilow über Funk Verbindung zum Präsidium aufnahm, studierte er aufmerksam eine in großem Maßstab gehaltene Karte des Bezirks Rasdolsk.
    »Über den Prospekt der Textilarbeiter fährt nur eine einzige Buslinie, die Elf. Haltestellen gibt es in beiden Richtungen. Eine ist direkt an der Hausecke, die andere . . . die andere ist ungefähr zweihundert Meter vom Lebensmittelgeschäft entfernt. Was haben wir alles an der Strecke? Das Haus der Kultur, eine Schule, ein Krankenhaus, eine Fabrik für Elektrogeräte. Dann kommt die Arbeitersiedlung Mebelny, danach . . .«
    »Danach kommen nur noch die Datschen und der Fluss. Die Kljasma.« Kolossow schaute nicht auf die Karte, er wusste es auch so. »Und in der anderen Richtung sind nur das Militärhospital und dann die Endstation. Wenn er nicht zum Bahnhof gefahren ist und sich in den Vorortzug gesetzt hat, dann. . .«
    »Er kann sich auch in der Stadt etwas gemietet haben.« Chalilow blätterte im Atlas. »Andererseits ist es jetzt auf dem Land ruhig und menschenleer. Die Saison hat noch nicht angefangen. Sommerfrischler sind fast keine da, die Kinder noch in der Schule. Vielleicht hat dieser Halunke uns ja auch irgendwas vorgeflunkert, Nikita . . .«
    »Trotzdem bleibt uns keine andere Wahl, als ihn zu suchen, Renat. Die Strecke der Buslinie hat immerhin ein gewisses System. Eine Rettung vor dem Chaos.«
    Und so suchten sie nach Grant. Quadratmeter um Quadratmeter wurde durchkämmt, die gesamte Fahrtroute der Linie Elf: Stadt, Vorstädte, Siedlungen, Dörfer. Im Eifer der Suche verging fast unmerklich die Nacht.
    Im Osten flimmerte bereits ein schmaler heller Streifen, doch der Wald zu beiden Seiten der Chaussee stand immer noch wie ein Monolith, wie eine undurchdringliche schwarze Mauer.
    »Eine prächtige Gegend ist das hier.« Chalilow reckte sich genüsslich auf dem Sitz, dass seine Gelenke knackten. »Also, was liegt noch an unserer Strecke? Polowzewo und dahinter Uwarowka. Nichts als Datschen, bis direkt zum Fluss. Und die Endstation der Linie Elf. Womit fangen wir an?«
    »Mit dem, was vor unserer Nase liegt.« Kolossow nickte zum Wegweiser mit der Aufschrift »Polowzewo«, der im Frühnebel schimmerte.
    Rund dreihundert Meter hinter dem Wegweiser bogen sie von der Chaussee auf eine schmale betonierte Landstraße ab und hielten vor einem gestreiften Schlagbaum, der die Einfahrt in die Datschensiedlung versperrte. Neben dem Schlagbaum stand wie eingewurzelt eine vom Regen dunkle Baubude mit einem Drahtzaun – die Behausung des Wachmanns. Sofort schlug laut und bösartig ein Hund an.
    Der Wächter, ein hinkender alter Trunkenbold, wurde aus dem Bett geholt und konnte lange nicht begreifen, was die beiden Ankömmlinge von ihm wollten. Mit stumpfem Blick sah er auf das Foto von Grant.
    »Na und? Was hat der angestellt?«
    »Haben Sie diesen Mann
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