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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes
Autoren: Tatjana Stepanowa
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verlassen und sich wieder auf das Territorium seiner Heimat begeben hatte, die ihn gar nicht schätzte, konnte nur eins bedeuten: Grant war pleite. Und die Summe, die die Michailow-Leute auf den Kopf des Opfers ausgesetzt hatten, war offensichtlich so hoch, dass sowohl die animalische Vorsicht des Killers als auch seine bisherige Abneigung, sich im Aktionsradius der Miliz und der auf Rache sinnenden Kolomna-Bande aufzuhalten, bedeutungslos für ihn geworden waren.
    Chalilows Neuigkeiten kamen für Kolossow unerwartet. Viel Zeit zum Überlegen blieb nicht: Der Informant hatte berichtet, dass nur ein einziges Exemplar einer solchen Waffe – »das wegen eines kleinen Mangels, einem Kratzer auf der Optik, noch zu haben gewesen war« – an die Michailow-Bande verkauft worden sei. Wann und wo die Michailow-Leute das Gewehr an Grant übergeben würden, falls dieser tatsächlich als Killer vorgesehen war, konnte der Informant natürlich nicht wissen. Leider wusste er auch ein anderes wichtiges Detail nicht: wen man diesmal zu liquidieren gedachte.
    In wenigen Stunden gingen Kolossow und Chalilow alle möglichen Varianten durch. Dass der Schuss innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden fallen würde, stand außer Zweifel: Wenn Grant die Waffe erst einmal in Empfang genommen hatte, pflegte er die Ausführung des Auftrags nicht auf die lange Bank zu schieben, denn mit der Lebensweise und dem Tagesablauf seiner Opfer machte er sich gewöhnlich schon vorher vertraut. Außerdem würde es hier passieren, in der Moskauer Provinz – der Gegend, in der die Michailow-Bande ihre Interessen schützte. Aber wen genau sie aufs Korn genommen hatten und in welchem der vierzig Bezirke dieses Gebiets der Auftragsmord verübt würde, blieb natürlich ein Geheimnis. Man konnte nur die Karte des Moskauer Umlands studieren und hilflos warten, aus welchem Bezirk die Nachricht vom nächsten blutigen Zwischenfall eintraf.
    Und nun war die Nachricht also aus Rasdolsk gekommen, und das Opfer hieß Sladkich. Womit dieser den Unmut der Michailow-Bande erregt hatte, ließ sich leicht erraten: Offenbar hatte ihr Anführer Michailow, bekannt unter dem Spitznamen Brillanten-Goscha, ein wenig verspätet beschlossen, sich für seine am Kriegerdenkmal gefallenen Kollegen und Mitstreiter zu rächen. Tief im Innern spürte Kolossow fast so etwas wie Erleichterung, als er erfuhr, dass man gerade Igor Sladkich erschossen hatte, denn der Bursche war eine ausgesprochen unerfreuliche Erscheinung. Zwar prahlte er damit, dass er einmal in einer Eliteeinheit gedient und »den Amin-Palast in Kabul gestürmt hatte«, aber auch das war kein allzu großes Ruhmesblatt in seiner Biografie, denn schon nach kurzer Zeit war er wegen Feigheit und Verrat von Dienstgeheimnissen aus dieser Einheit ausgeschlossen worden.
    Während der Perestroika stürzte Sladkich sich ins Geschäftsleben. Er machte aus allem Geld: aus Wodka, aus gepanschtem aserbaidschanischem Schnaps, aus denaturiertem Spiritus, aus Ölfirnis und anderen, zur inneren Anwendung völlig ungeeigneten Substanzen. Aber nun hatte der gezielte Schuss eines anderen Schurken namens Antipow-Grant den guten Igor Sladkich beseitigt. Der Kreis hatte sich geschlossen.
    Daran, dass Grant diesmal nicht entwischen und der Fall aufgedeckt würde – wie auch die anderen von ihm begangenen Verbrechen – , zweifelte Kolossow auch aus einem anderen Grund nicht. Seit drei Tagen nämlich saß nun schon ein gewisser Anton Karpow, der in einer Drogenhöhle in Mythischtschi festgenommen worden war, im Untersuchungsgefängnis. Karpow, in gewissen Kreisen besser unter dem Spitznamen »der Hai« bekannt, befand sich bei seiner Festnahme im Zustand völliger Unzurechnungsfähigkeit. In den Taschen seines mit Erbrochenem besudelten Jacketts entdeckte man bei der Durchsuchung drei Tütchen Heroin.
    Das Rauschgift nahm man zum formellen Anlass, Karpow zu verhaften. Aber der tatsächliche Grund – und das wurde sogar vor den lokalen Mitarbeitern der Miliz sorgfältig geheim gehalten – war die Tatsache, dass der drogensüchtige Dieb ein Blutsbruder Grants war.
    Die beiden hatten zusammen in einem Lager bei Irkutsk gesessen. Dort in der Zone hatte Grant dem »Hai« bei einem unvorhergesehenen Zwischenfall das Leben gerettet. Später erfuhr die Lagerverwaltung durch ihre Vertrauensleute, dass die beiden sich verbrüdert hätten: Sie hatten das Blut aus ihren aufgeschnittenen Handtellern vermischt und einander geschworen, ihr Leben lang
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