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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes
Autoren: Tatjana Stepanowa
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dem Zusammenstoß mit den unbekannten »Rowdys« der Bodyguard selbst ums Leben kam. Er überquerte in angeblich nicht ganz nüchternem Zustand die Straße und wurde überfahren. Wagen und Fahrer konnte man niemals ermitteln.
    Nun hatte auch Sladkich selbst dran glauben müssen. Katja entnahm den knappen Mitteilungen von Oberstleutnant Spizyn, dass der Wodkakönig auf die übliche Weise ins Jenseits befördert worden war: Der Killer hatte gewartet, bis sein Opfer aus dem Haus trat.
    »Gleich erfahren wir alles vor Ort«, verhieß Spizyn finster. »Die Nachbarn von gegenüber sollen den Schuss gehört haben.«
    Als sie auf den Hof des Hauses gefahren waren, sah Katja auch schon die Leiche. Wie Spizyn berichtete, hatte Sladkich in diesem Neubau vor drei Monaten sämtliche drei Wohnungen auf einer Etage gekauft, die Zwischenwände abgerissen und die geräumigen Apartments nach westeuropäischem Standard einrichten lassen. Wie es hieß, besaß er außerdem Wohnungen in Moskau und im Ausland sowie eine kleine Villa in einer landschaftlich besonders reizvollen und ökologisch sauberen Region an der Kljasma.
    Nun lag Sladkich mit dem Gesicht nach unten auf dem asphaltierten Weg, nur wenige Meter von seinem nagelneuen Jeep entfernt. Die Kugel hatte dem ehemaligen Abgeordneten glatt den Kopf durchschlagen. Katja stellte keine überflüssigen Fragen. Wie alle anderen wartete sie auf das Wichtigste: Würde man die Stelle finden, von der aus geschossen worden war? Würde man die Waffe entdecken? Vorläufig bemühte sie sich, möglichst in der Nähe des Kameramanns zu bleiben. Der rackerte sich ab, denn er wusste jetzt schon, dass die Aufnahmen, die er hier in Rasdolsk machte, noch am selben Tag über sämtliche Fernsehkanäle flimmern würden.
    Im Moment der höchsten Anspannung wurde Katja durch die Ankunft zweier neuer Personen am Ort des Geschehens abgelenkt.
    Es waren Nikita Kolossow und Renat Chalilow. Kolossow war Chef der Mordkommission in der Moskauer Hauptverwaltung der Miliz (und hatte, wie Katja wusste, eigentlich schon seit einer Woche Urlaub), und Chalilow. . .
    Ihre Blicke trafen sich, und sofort fühlte Katja sich ein wenig unbehaglich. Renat Chalilow, ein großer, plumper Mann, trat mit unverhohlener Freude auf sie zu, umarmte sie und gab ihr einen geräuschvollen Kuss auf die Wange. Irgendwie kamen Katja Umarmungen und Küsse neben dem leblosen Körper und unter den Augen der im Hof versammelten Gaffer reichlich unpassend vor. Aber selbst unter diesen deprimierenden Umständen konnte sie ihre Freude über die Begegnung mit Renat nicht verbergen. Leider gehörte er nicht mehr zum Kreis ihrer Kollegen. Sechs Jahre zuvor hatte man ihn wegen Mordes zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
    Es war am 9. Mai geschehen, dem Tag des Sieges. Nach Dienstschluss feierten die Milizionäre wie üblich in ihrem Kreis. Als Renat nach Hause zurückkehrte – er wohnte damals in einer Kommunalwohnung im Zentrum von Kamensk – , sah er, dass neben dem Denkmal für die Kriegsgefallenen ein ausländischer Wagen hielt und drei Betrunkene ausstiegen. Wie es später taktvoll im Protokoll hieß, begingen diese Bürger »eine unschickliche Handlung, die die öffentliche Ordnung empfindlich störte«. Schlichter ausgedrückt: Nachdem sie sich reichlich mit Bier abgefüllt hatten, hielten sie es nicht bis nach Hause aus und erleichterten sich direkt auf den Rasen um das Denkmal. Zuerst fielen derbe Worte zwischen ihnen und Renat; dann kam es zu Handgreiflichkeiten: drei Betrunkene gegen einen auch nicht mehr ganz nüchternen Milizionär. Und dann krachte ein Schuss. Einen der Betrunkenen traf die Kugel in die Brust. Der Mann war auf der Stelle tot. Die beiden anderen flüchteten. Das Gericht wertete den Vorfall als Mord. Eine fatale Rolle spielte dabei die Tatsache, dass Renat über eine Waffe verfügte, die Angreifer jedoch nicht, und dass er – ein Hauptmann der Miliz, eine Amtsperson – zum Zeitpunkt des Geschehens »in alkoholisiertem Zustand« war. Man verurteilte ihn zu sieben Jahren Freiheitsstrafe. Nach fünf Jahren wurde er wegen guter Führung vorzeitig entlassen.
    Katja war von der temperamentvollen Begrüßung noch ein wenig außer Atem, als Chalilow bemerkte (ein bisschen zynisch, wie sie fand): »Jetzt hat es sich ausgehüpft für unseren kleinen Springinsfeld.«
    Offenbar wusste Renat über das Vorgefallene bereits Bescheid. Und auch für den Chef der Mordkommission schien es keine besondere Überraschung zu sein.
    Katja
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