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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes
Autoren: Tatjana Stepanowa
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trat Kassjanow, Untersuchungsführer der Staatsanwaltschaft, auf Kolossow zu. Er sah müde aus; sein Gesicht war grau und zerknittert, und er hatte dunkle Schatten unter den Augen. »Wann haben Sie ihn entdeckt?«
    »Genau um Viertel vor fünf«, presste Kolossow hervor. Sich eine solche Festnahme durch die Lappen gehen zu lassen! Er konnte seine Wut noch immer nicht bezähmen.
    »Der Gerichtsmediziner vermutet, dass der Tod zwischen halb drei und drei Uhr nachts eingetreten ist.« Kassjanow raschelte mit den Papieren in seiner Mappe. »Er untersucht gerade irgendwelche geheimnisvollen Blutflecken und hält sich mit genaueren Aussagen vorläufig noch zurück. . . Tja, und was meinst du dazu?«
    Kolossow schwieg.
    »Offenbar ist sein Genick gebrochen«, fuhr Kassjanow fort. »Und der Hals . . . Ist dir so was Schreckliches schon mal unter die Augen gekommen? Teufel noch mal!«
    Kolossow nickte mechanisch. Er hatte die Leiche eher zu Gesicht bekommen als Kassjanow. Und das entsetzte, hilflose, zornige »Teufel noch mal!« hatte er auch schon von Renat Chalilow gehört.
    Als sie um das Haus gegangen waren, hatte Chalilow, der inzwischen statt einer Pistole eine Taschenlampe in der Hand hielt, ins Gras geleuchtet. Vor einem Holzstoß gleich neben dem Zaun erblickte Kolossow aus den Kletten ragende Beine in hellblauen Jeans. Der Lichtkegel bewegte sich nach rechts, und sie sahen das Gesicht jenes Mannes, der ihnen von Computerbildern und Fotos aus dem Verbrecheralbum so gut bekannt war. Die Augen aufgerissen, die Zungenspitze zwischen den blau angelaufenen Lippen zerbissen.
    »Du liebe Güte, so viel Blut!«, entsetzte sich Chalilow. »Was ist denn da passiert?«
    Grant lag auf dem Rücken. Sein Kopf war auf unnatürliche Weise zur Seite verdreht, als hätte er versucht, ihn um hundertachtzig Grad zu wenden. Doch nicht die bizarre Lage der Leiche zog Kolossows Aufmerksamkeit auf sich, sondern die furchtbare Halswunde. Ein riesiges Loch mit eingerissenen Rändern. Das Gras unter der Leiche war schwarz vor Blut. Auch auf den Zweigen des Jasmin, der unter den Fenstern wuchs, und auf dem Brennholz erblickte Kolossow unzählige Flecken und Spritzer. Sogar auf dem Zaun, in ungefähr einem Meter Höhe über dem Boden, fanden sich noch Blutspuren.
    Das Licht der Taschenlampe bewegte sich weiter, und im Gras blitzte irgendetwas matt auf. Kolossow bückte sich: Neben Grants rechter Hand, die mit Erde beschmutzt war und zwischen deren Fingern Tannennadeln steckten – offenbar hatte er im Todeskampf den Boden aufgekratzt – , lag eine Pistole vom Typ TT. Es schien, als wäre Antipow-Grant von irgendetwas aufgeschreckt oder alarmiert worden und wollte sich verteidigen, hatte aber nicht mehr rechtzeitig abdrücken können. Jemand war ihm zuvorgekommen.
    »Auf der Pistole sind Antipows Fingerabdrücke. Ist soeben durch den Detektor überprüft worden«, teilte Kassjanow trocken mit und riss Kolossow aus seinen Gedanken. »Es ist seine Pistole. Ohne Nummer, in gutem, gebrauchtem Zustand. Nur ist er diesmal nicht dazu gekommen, die Waffe zu benutzen. Und das bei seiner berühmten Reaktionsschnelligkeit! Man hat ihm den Hals gebrochen. Keine Kugel in den Kopf, kein Messerstich in den Rücken . . . man hat ihn praktisch mit bloßen Händen erledigt. Und dann auch noch diese grässliche Wunde am Hals . . . Das ist kein Schnitt, das ist ein Riss. Iwan Pawlowitsch war ganz sicher, dass das Gewebe zerrissen wurde . . . Muskeln, Luftröhre, Kehlkopf.« Kassjanow raschelte erneut geschäftig mit den Papieren in seiner Mappe. »Wir sollten uns schon mal einen netten kleinen Plan überlegen. Du weißt ja selbst, wie unsere Chefs auf das alles reagieren werden.«
    Das wusste Kolossow nur zu gut. Der Mordfall Sladkich war zu einem Rohrkrepierer geworden, und das würde den Vorgesetzten gar nicht gefallen. Was hatten sie nun davon, dass Grant der Verdächtige war? Bei diesem Killer war jetzt nichts mehr zu holen. Kolossow warf seinem Gesprächspartner einen schiefen Blick zu. Nur zu, Staatsanwalt, schreib. Wer hat Grant umgebracht, wozu, weshalb . . . Versionen gab es mehr als genug.
    Version eins: Wenn Grant tatsächlich den Auftrag der Michailow-Gruppe ausgeführt hatte, Sladkich zu beseitigen, sollte er das Honorar für seine Arbeit höchstwahrscheinlich in Raten bekommen. Alles auf einmal würden die Michailow-Leute bestimmt nicht zahlen – Brillanten-Goscha, ihr ungekrönter Anführer, war berühmt für seinen phänomenalen Geiz, und hier ging
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