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Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann
Autoren: Lee Child
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Elektrokabel von einem kleinen Haufen Bauschutt zurück. Ich entfernte die Isolierung mit den Zähnen, bog den Draht vorn zu einem kleinen Haken zusammen und schob ihn durch den Fenstergummi der Fahrertür des Maximas.
    »Sie stehen Schmiere«, sagte ich.
    Er entfernte sich ein paar Schritte, um den Parkplatz besser überblicken zu können. Ich schob das Drahtende mit dem Haken tiefer und fummelte damit herum, bis die Tür entriegelt war und sich öffnen ließ. Dann warf ich den Draht wieder auf den Haufen, bückte mich unter die Lenksäule und zog die Plastikverkleidung ab. Sortierte die Drähte, bis ich die zwei gefunden hatte, die ich brauchte, und verdrillte sie. Der Anlasser surrte, und der Motor sprang an. Der Junge schien beeindruckt zu sein.
    »Vergeudete Jugend«, sagte ich.
    »Ist das clever?«, fragte er nochmal.
    Ich nickte. »Das Cleverste, was wir tun können. Er wird nicht vor sechs, vielleicht erst um acht Uhr abends vermisst. Wann immer dieser Laden schließt. Bis dahin sind Sie längst zu Hause.«
    Er blieb mit einer Hand an der Beifahrertür stehen, dann gab er sich einen Ruck und stieg ein. Ich schob den Fahrersitz zurück, verstellte den Innenspiegel und stieß rückwärts aus der Parklücke. Lenkte den Wagen gemächlich über das Areal des Einkaufszentrums. Ungefähr hundert Meter vor uns sah ich einen Streifenwagen. Ich fuhr in die erste Parklücke, die ich fand, und blieb mit laufendem Motor in dem Nissan sitzen, bis der Streifenwagen außer Sicht war. Zwei Minuten später rollten wir mit sechzig Meilen in der Stunde auf einem breiten Highway nach Norden. In dem Wagen roch es penetrant nach Parfüm, und auf der Mittelkonsole standen gleich zwei Boxen Kosmetiktücher. An den hinteren Seitenfenstern waren als Sonnenschutz Pandabären angebracht, die statt Pfoten Saugnäpfe aus durchsichtigem Plastikmaterial besaßen. Auf dem Rücksitz lag ein Baseballhandschuh aus der Little League, und im Kofferraum klapperte ein Aluminiumschläger herum.
    »Mamas Taxi«, bemerkte ich.
    Der Junge äußerte sich nicht dazu.
    »Keine Sorge«, sagte ich. »Sie ist wahrscheinlich versichert. Bestimmt eine angesehene Bürgerin.«
    »Fühlen Sie sich nicht schlecht?«, fragte er. »Wegen des Cops?«
    Ich schaute zu ihm hinüber. Er war blass und saß so weit wie irgend möglich von mir abgerückt. Seine rechte Hand lag auf dem Fensterrahmen. Die langen Finger sahen aus wie die eines Musikers. Ich hatte das Gefühl, als bemühte er sich, mich zu mögen.
    »Scheiße passiert eben«, erwiderte ich. »Unnötig, sich darüber groß aufzuregen.«
    »Was ist das für eine Antwort, verdammt noch mal?«
    »Die einzig richtige. Das war ein minimaler Kollateralschaden. Unwichtig, wenn er sich später nicht als belastend erweist. Fazit: Wir können nichts daran ändern, also blicken wir nach vorn.«
    Er schwieg.
    »Außerdem war Ihr Dad daran schuld«, sagte ich.
    »Weil er reich ist und einen Sohn hat?«
    »Weil er miserable Leibwächter angeheuert hat.«
    Er sah weg. Sagte nichts.
    »Sie waren Leibwächter, stimmt’s?«
    Er nickte.
    »Also fühlen Sie sich nicht miserabel?«, fragte ich. »Ihretwegen?«
    »Ein bisschen«, antwortete er. »Wahrscheinlich. Ich hab sie nicht gut gekannt.«
    »Sie waren nichts wert«, sagte ich.
    »Alles ist so schnell gegangen.«
    »Die Kidnapper haben Ihnen dort aufgelauert«, erklärte ich. »Ein klappriger alter Pick-up wie ihrer, der einfach so in einer spießigen kleinen Collegestadt rumhängt? Welchem Leibwächter fällt so was nicht auf? Die haben wohl nie was von Gefahreneinschätzung gehört?«
    »Soll das heißen, dass er Ihnen aufgefallen ist?«
    Ich nickte. »Ja, das ist er.«
    »Nicht schlecht für einen Lieferwagenfahrer.«
    »Ich war in der Army. Militärpolizist. Ich weiß, was Leibwächter zu tun haben. Und ich kenne mich mit Kollateralschäden aus.«
    Der Junge nickte unsicher.
    »Haben Sie auch einen Namen?«, erkundigte er sich.
    »Kommt darauf an«, entgegnete ich. »Ich muss erst wissen, wie Sie die Sache sehen. Ich könnte in allerhand Schwierigkeiten geraten. Zumindest ein Cop ist tot, und ich habe gerade ein Auto geklaut.«
    Er schwieg. Ich ließ ihm Zeit zum Nachdenken. Wir waren schon fast aus Massachusetts heraus.
    »Meine Familie schätzt Loyalität«, sagte er schließlich. »Sie haben ihrem Sohn einen Dienst erwiesen. Und Sie haben ihr einen Dienst erwiesen. Ihr zumindest Geld gespart. Sie wird Ihnen ihre Dankbarkeit beweisen und verpfeift Sie auf keinen Fall, da
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