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Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann
Autoren: Lee Child
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Verringerte mein Tempo auf ungefähr fünfzig und fuhr scharf rechts, sodass der Streifenwagen der Collegecops instinktiv nach links zog, um sich neben mich zu setzen. Ich schoss meine drei letzten Patronen auf ihn ab. Seine Windschutzscheibe zersplitterte, und er schleuderte wild über die gesamte Straßenbreite, als sei der Fahrer getroffen oder wenigstens einer der Reifen. Er geriet aufs gegenüberliegende Bankett, pflügte mit dem Kühler durch die sich dort befindliche niedrige Hecke und verschwand außer Sichtweite. Ich warf den leeren Revolver auf den Sitz neben mich, kurbelte das Fenster hoch und gab wieder Vollgas. Der Junge sagte nichts, starrte nur nach hinten in den Lieferwagen.
    »Okay«, sagte ich ziemlich außer Atem. »Jetzt kann uns erst mal nichts passieren.«
    Der Junge wandte sich zu mir.
    »Sind Sie verrückt?«, fragte er.
    »Wissen Sie, was mit Leuten geschieht, die Cops erschießen?«, fragte ich zurück.
    Darauf wusste er keine Antwort. Wir fuhren etwa eine halbe Meile weit schweigend weiter, wie hypnotisiert durch die Windschutzscheibe starrend. Das Innere des Wagens stank nach Pulverdampf.
    »Es war ein Unfall«, sagte ich. »Ich kann ihn nicht wieder lebendig machen. Also finden Sie sich gefälligst damit ab.«
    »Wer sind Sie?«, fragte er.
    »Nein, wer sind Sie ?«, erwiderte ich.
    Er verstummte, atmete schwer. Ich blickte in den Rückspiegel. Die Straße hinter uns war völlig leer. Auch vor uns war niemand zu sehen. Wir befanden uns weit außerhalb der Stadt. Ungefähr zehn Minuten von einem Highwaykreuz entfernt.
    »Ich bin eine Zielperson«, sagte er. »Für eine Entführung.«
    Eine seltsame Wortwahl.
    »Die Kerle wollten mich entführen«, sagte er.
    »Glauben Sie?«
    Er nickte. »Das wäre nicht das erste Mal.«
    »Weshalb?«
    »Geld«, sagte der Junge. »Weshalb sonst?«
    »Sie sind reich?«
    »Mein Vater schon.«
    »Wer ist er?«
    »Nur irgendein Typ.«
    »Aber ein reicher Typ«, sagte ich.
    »Er ist Teppichimporteur.«
    »Teppiche? Was, wie Auslegeware?«
    »Orientteppiche.«
    »Als Importeur von Orientteppichen kann man reich werden?«
    »Sehr«, sagte der Junge.
    »Haben Sie auch einen Namen?«
    »Richard«, sagte er. »Richard Beck.«
    Ich schaute wieder in den Rückspiegel. Die Straße hinter uns war immer noch leer. Ich nahm etwas Gas zurück und versuchte, wie ein normaler Mensch zu fahren.
    »Also, wer waren diese Kerle?«, wollte ich wissen.
    Richard Beck schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
    »Sie wussten, wo Sie sein würden. Und wann.«
    »Ich wollte zum Geburtstag meiner Mutter nach Hause fahren. Er ist morgen.«
    »Wer könnte das wissen?«
    »Schwer zu sagen. Jeder, der meine Familie kennt. Jeder in der Teppichszene, denke ich. Wir sind ziemlich bekannt.«
    »Es gibt eine Szene?«, fragte ich. »In Teppichen?«
    »Wir konkurrieren alle miteinander«, antwortete er. »Dieselben Lieferanten, dieselben Märkte. Wir kennen uns alle.«
    Ich schwieg eine Weile.
    »Haben Sie einen Namen?«, erkundigte er sich.
    »Nein«, sagte ich.
    Er nickte, als verstehe er das. Cleverer Junge.
    »Was haben Sie jetzt vor?«, fragte er.
    »Ich setze Sie in der Nähe des Highways ab«, erwiderte ich. »Sie können per Anhalter weiterfahren oder sich ein Taxi rufen und dann vergessen, dass Sie mich jemals gesehen haben.«
    Er wurde sehr still.
    »Ich kann Sie nicht zur Polizei bringen«, sagte ich. »Das ist unmöglich. Das verstehen Sie doch, oder? Ich habe einen Menschen erschossen. Vielleicht sogar drei. Das haben Sie selbst gesehen.«
    Er schwieg weiter. Zeit, einen Entschluss zu fassen. Noch sechs Minuten bis zum Highway.
    »Sie würden mich einsperren und den Schlüssel wegwerfen«, fuhr ich fort. »Ich hab Scheiße gebaut, es war ein Unfall, aber sie würden mir nicht glauben. Das tun sie nie. Also verlangen Sie nicht, dass ich zu irgendwem gehe. Ich verschwinde, als hätte ich nie existiert. Ist das klar?«
    Er schwieg.
    »Und geben Sie ihnen keine Personenbeschreibung«, erklärte ich. »Erzählen Sie ihnen, Sie könnten sich nicht an mich erinnern. Erzählen Sie ihnen, dass Sie unter Schock gestanden haben. Sonst finde ich heraus, wo Sie sind, und bringe Sie um.«
    Er gab keine Antwort.
    »Ich setze Sie irgendwo ab«, sagte ich. »Als hätten Sie mich nie gesehen.«
    Er drehte sich zu mir und sah mich an.
    »Fahren Sie mich nach Hause«, sagte er. »Die ganze Strecke. Wir geben Ihnen Geld. Sind Ihnen behilflich. Verstecken Sie, wenn Sie wollen. Meine Leute werden Ihnen
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