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Der Horizont: Roman (German Edition)

Der Horizont: Roman (German Edition)

Titel: Der Horizont: Roman (German Edition)
Autoren: Patrick Modiano
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verspürte nicht die geringste Lust, um diese Zeit Bier zu trinken.
    »Und Sie, was machen Sie so im Leben?«
    Die Frage hatte ihm der Brünette mit dem Bulldoggenschädel gestellt, und dabei lächelte er mit einem sonderbaren Lächeln, das zu seinem harten Blick nicht passte.
    Von diesem Augenblick an verlieren sich ihre Stimmen und ihre Gesichter in grauer Vorzeit – außer das Gesicht von Margaret Le Coz –, die Schallplatte bleibt hängen, dann verstummt sie abrupt. Außerdem machte das Café schon bald zu, von dem Bosmans nie erfahren würde, warum es Le Firmament hieß.
    Sie gehen zur Metrostation. An diesem Abend sagt ihm Margaret Le Coz, dass sie gern eine andere Arbeit hätte und Richelieu Interim und ihre Kollegen von vorhin endgültig verlassen möchte. Sie liest jeden Tag die Kleinanzeigen, und jeden Tag hofft sie auf einen Satz, der ihr neue Horizonte eröffnet. Auf der Place de l’Opéra verschwinden nur wenige Menschen im Metroeingang. Die Stoßzeit ist vorüber. Keine CRS -Absperrung mehr rings um die große Fläche und entlang des Boulevard des Capucines, doch vor der Oper stehen zwei oder drei Männer neben ihren dicken Mietwagen und warten auf einen Kunden, der nicht kommen wird.
    Als sie die Treppe hinabsteigen, fasst Bosmans sie um die Schultern, als wolle er sie vor einem so heftigen Gedränge wie neulich abend beschützen, doch sie gehen durch leere Gänge, und auf dem Bahnsteig warten sie allein auf den Zug. Er erinnert sich an eine lange Metrofahrt, an deren Ende er sich im Zimmer von Margaret Le Coz in Auteuil wiederfindet.
    Er wollte wissen, warum sie ein Zimmer in diesem entlegenen Viertel gemietet hatte.
    »Hier ist es sicherer«, hatte sie gesagt. Dann hatte sie sich schnell verbessert: »Hier ist es stiller …«
    Bosmans hatte in ihrem Blick eine Unruhe entdeckt, als drohe ihr von irgendwoher Gefahr. Und eines Abends, als sie sich verabredet hatten, nach ihrer Arbeit, in der Bar von Jacques dem Algerier, ganz bei ihr in der Nähe, hatte er sie gefragt, ob sie in Paris noch andere Leute kenne, außer ihren Bürokollegen. Sie hatte kurz gezögert:
    »Nein … niemanden … nur dich …«
    Sie wohnte erst seit einem Jahr in Paris. Davor war sie in der Provinz gewesen und in der Schweiz.
    Bosmans erinnerte sich an die endlosen Metrofahrten mit Margaret Le Coz, in der Stoßzeit. Und seit er Dinge in sein schwarzes Notizbuch schrieb, hatte er zwei oder drei Träume gehabt, in denen er sie in der Menschenmenge sah, nach Büroschluss. Und auch einen Traum, in dem sie wieder gegen die Wand gequetscht wurden, durch den Druck der anderen, die man hinter ihnen die Treppe hinabdrängte. Er war aus dem Schlaf hochgeschreckt. Ein Gedanke war ihm in den Sinn gekommen, und er hatte ihn am nächsten Tag in sein Notizbuch geschrieben: »Damals, Gefühl, mit Margaret in der Menge verloren zu sein.« Er hatte zwei grüne Hefte der Marke Clairefontaine wiedergefunden, deren Seiten mit einer kleinen, gedrängten Schrift bedeckt waren, und schließlich hatte er sie auch erkannt: seine Schrift. Ein Buch, das er in jenem Jahr zu schreiben versuchte, als er Margaret Le Coz begegnet war, eine Art Roman. Während er die Hefte durchblätterte, verblüffte ihn diese Schrift, die viel gedrängter war als seine übliche. Und vor allem fiel ihm auf, dass sie auch die Ränder füllte und dass er nie einen Absatz machte oder eine neue Seite anfing, und dass sich in diesem Manuskript keine einzige weiße Stelle fand. Wahrscheinlich war das sein ganz eigenes Verfahren gewesen, ein Gefühl von Ersticken auszudrücken.
    Er schrieb manchmal nachmittags im Zimmer von Margaret Le Coz, wo er sich während ihrer Abwesenheit hinflüchtete. Das Mansardenfenster ging auf einen verwilderten Garten, in dessen Mitte eine Rotbuche stand. In jenem Winter war der Garten mit einer Schneeschicht bedeckt, doch lange vor dem Datum, welches der Kalender als Frühlingsanfang nannte, reichten die Blätter des Baumes fast bis an die Fensterscheibe. Warum also war in diesem friedlichen Zimmer, abseits der Welt, die Schrift auf den Seiten der Hefte so gedrängt? Warum nur war alles, was er schrieb, so schwarz und so bedrückend? Lauter Fragen, die er sich damals nicht gestellt hatte.
    Man fühlte sich fern von allem, in diesem Viertel, samstags und sonntags. Schon am ersten Abend, an dem er sie nach Büroschluss abgeholt hatte und sie mit Mérovée und den anderen zusammengewesen waren, hatte sie ihm gesagt, sie bleibe lieber da draußen
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