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Der Hirte, Teil 3 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Der Hirte, Teil 3 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Titel: Der Hirte, Teil 3 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)
Autoren: Richard Dübell
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sie in den vergangenen Sommer und setzte sich dort fort, nur dass es das Trommeln von Caesars Hufen auf dem Waldboden war.
Caesars Wiehern riss die gedämpfte Geräuschkulisse aus Vogelgesang, quietschenden Wagenrädern, dem langsamen Schritt und der gemurmelten Unterhaltung eines Dutzends Männer, Knechte und Fuhrleute auf. Der Wagentreck in der Senke geriet ins Stocken, die Männer starrten ihn an. Dann fuhren sie herum und nahmen unwillkürlich Abwehrhaltung gegen die andere Seite ein, und Rainalds Magen drehte sich um. So hätte es sein sollen – wenn der Herr über den Straßenabschnitt, den sie gerade befuhren, mit gezücktem Schwert aus dem Wald gesprengt kam, dann geschah es in Erfüllung seiner Pflicht, die Straße sicher zu halten; und dann lag es nahe, dass sich von der anderen Seite das Gesindel näherte. Das Gesindel bin ich, dachte Rainald. Dann war er unter ihnen, noch bevor sie sich wieder umwenden konnten, Caesar rempelte sie beiseite wie Lumpenpuppen, die Breitseite von Rainalds Schwert knallte dem berittenen Anführer der Bewaffneten ins Gesicht und warf ihn aus dem Sattel, und noch ehe jemand eine weitere Bewegung machen konnte, riss Rainald an den Zügeln, Caesar kam schlitternd zum Stehen und die Spitze von Rainalds Klinge zum Halt am Hals des Anführers des Trecks. Alles erstarrte.
„Wenn ihr seinen Kopf nicht rollen sehen wollt, lasst die Waffen fallen“, keuchte Rainald unter seinem Visier hervor. Es schien, als würde er keine Luft bekommen. Was soll’s, dachte er halb erstickt, irgendwann wird es ihnen sowieso klar. Er klappte das Visier nach oben und atmete krampfhaft ein. Die Augen des Mannes am Arbeitsende von Rainalds Schwert weiteten sich.
„Herr von Mandach“, hauchte er.
„Ratsherr Dielsdorfer“, sagte Rainald und nickte. Dann hob er die Stimme: „Es muss keine Verletzten geben, wenn alle vernünftig sind!“ Der Anführer der Wache auf dem Boden wälzte sich herum und spuckte fluchend einen Zahn aus. „Ich habe ein halbes Dutzend Männer mit Bögen im Wald versteckt. Jeder von ihnen hat sich bereits einen von euch als Ziel ausgesucht.“
„Was habt Ihr vor?“, fragte Dielsdorfer.
Rainald verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Ich nehme mir, was euch gehört“, sagte er.
    Rainald blieb am Rand der Lichtung stehen. Sie zog eine weite Schneise durch den Wald, in der nur hier und da dünne Bäumchen standen, als habe eine gewaltige Sense eine Spur von der Breite eines halben Dorfs in die Landschaft gemäht. Rainald wusste, dass unter dem Schnee und einer dünnen Lage aus verfaulenden Blättern und Zweigen nackter Fels zutage trag, auf dem nur stellenweise Bäume wachsen konnten. Er kannte mehrere solcher Stellen; sie waren wie Narben auf der Haut des Landes. Eine zu regelmäßige Ansammlung von Formen unter der Schneedecke bewies, dass Menschen vor langer Zeit gedacht haben mussten, die Lichtung sei ein idealer Siedlungsort. Die Ruinen sagten: wir sind von Menschenhand geschaffen worden. Ein Weiler mochte hier gestanden haben, vielleicht auch nur Köhlerhütten. Die Ruinen sagten: wer hier versucht hat zu leben, hat aufgegeben. Rainald musterte die zerfallenden Mauerreste unter ihrem Leichentuch aus Schnee; hier hatte sich das Versagen manifestiert.
„Eine freie Fläche …“, sagte Schwester Venia. Rainald hörte die Frage, die sie ihm zwischen den Worten stellte: war es eine Fläche, in der die Wölfe angreifen würden?
Das Geheul hatte sich nicht wieder hören lassen. Er hatte niemandem von dem Schatten erzählt, den er am Fluss zwischen die Bäume hatte gleiten sehen. Natürlich jagten die Wölfe sie weiterhin; sie taten es nur stumm. Es bestand kein Bedarf mehr, untereinander zu kommunizieren. Die Jäger hatten die Beute gesehen, gerochen, mit all ihren Sinnen erfasst. Sie würden sie nicht mehr verlieren.
Es war eine Fläche, in der die Wölfe angreifen würden. Rainald wusste es so sicher, wie er wusste, dass sein zielloses Herumstapfen seit ihrem Aufbruch von der Furt sie in unregelmäßiger Bewegung näher an die Stadt heranbrachte, obwohl er es nicht wollte. Was alles andere betraf, war er ratlos. Dass die Lichtung einst von Menschen bewohnt gewesen war, hätte normalerweise bedeutet, dass das Wolfsrudel sie mied. Doch dies war kein normales Wolfsrudel, und ihr Anführer kein Wolf. Ein Hund konnte seine Treue und seine Pflicht gegenüber den Menschen vergessen und zu einer wilden Bestie werden, aber eines vergaß er nicht: dass es weder vor einer gerodeten
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