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Der Hirte, Teil 3 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Der Hirte, Teil 3 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Titel: Der Hirte, Teil 3 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)
Autoren: Richard Dübell
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zu sinken und sich einfach seitwärts in den Fluss gleiten zu lassen. Blanka und Johannes standen hart am Ufer und starrten zu ihm herüber. Schwester Venia hielt sich abseits, aber auch ihr Blick ruhte auf ihm. Sie nickte und formte mit den Lippen unhörbare Worte: Komm zurück.
Es gibt Weisungen, denen folgt der Körper, wenn der Geist nicht klug genug ist, sie auszuführen. Dies war eine davon. Rainald hatte das Gefühl, sich selbst dabei zuzusehen, wie er sich auf den Rückweg machte, geschlagen von einem ruhig dahinströmenden Fluss, den er im Sommer durchschwommen hätte, ohne sich danach anders als erfrischt zu fühlen. Am Ufer angekommen, schleppte er sich zu seinem Pelz und ließ sich darauf niederfallen. Seine Füße waren fast weiß; als er sie in die Hände nahm, war er entsetzt, wie kalt sie sich anfühlten und dass seine klammen Hände überhaupt in der Lage waren, noch mehr Kälte zu spüren. Er drückte das starre Fleisch zusammen und ächzte vor Schmerz. Als er die Zehen zu bewegen versuchte, dauerte es eine Weile, bis die halb erfrorenen Gliedmaßen in der Lage waren, dem Befehl des Gehirns nachzukommen.
„Die Pelze, Kinder“, sagte Schwester Venia.
Blanka und Johannes zogen die Pelzlappen, mit denen Rainald sich in den Stiefeln geschützt hatte, unter ihrer Kleidung hervor, und begannen, seine Füße einzuwickeln. Die Körperwärme war zugleich angenehm und schmerzhaft. Rainald sah seinen Kindern dabei zu, wie sie seine Füße einpackten, seine Stiefel holten und ihn hineinschlüpfen ließen. Er sagte kein Wort. Er fühlte sich zutiefst gedemütigt. „Kein Grund, sich klein zu fühlen“, sagte Schwester Venia, als habe sie seine Gedanken gelesen. „Sich helfen zu lassen, ist ein Zeichen von Größe.“
„Ich habe versagt“, flüsterte Rainald.
Sie zuckte mit den Schultern. „Weil du den Fluss nicht überqueren konntest? Das hätte niemand geschafft.“ Rainald schüttelte den Kopf. „Ich habe versprochen, euch in Sicherheit zu bringen. Ich habe versagt.“
„Bring uns in die Stadt. Dann hast du dein Versprechen erfüllt.“
„Ihr habt euch darauf verlassen, dass ihr unter meiner Obhut in Sicherheit wärt. Ich habe versagt. Damals wie heute.“ „Was ist passiert, Rainald?“
Rainald blickte auf. Er fühlte seine Augen überlaufen, aber für diesen einen Augenblick war er zu schwach, um sich dessen zu schämen. Er nahm ihr Gesicht wie durch ein geschliffenes Glas wahr, ihre entschlossen geschwungenen Brauen, ihre dunklen Augen, ihre gerade, elegante Nase, ihren Mund, dessen Lippen blass und rissig und doch feingeschnitten waren: Das Gesicht einer Aristokratin, einer zweiten oder dritten Tochter eines Barons, deren Aussteuer nur für das Kloster gereicht hatte und die daran nicht zerbrochen, sondern gewachsen war, die aus dem Leben genommen worden war und dem Leben doch nicht entsagt hatte. Er hingegen … er hatte nicht nur entsagt, er war am Leben verzagt.
Er wandte den Blick ab von ihrer ruhigen Zuversicht und starrte den Fluss hinunter; gerade rechtzeitig, um den Schatten zu sehen, der von einem halb in den Fluss ragenden Baumstamm herunterglitt und mit der Düsternis unter den Bäumen eins wurde.
    Aus Rainalds Gedächtnis stieg Dielsdorfers Gestalt empor. Dielsdorfer, der Kaufmann; Dielsdorfer, der Ratsherr. Mit ihm kam die Erinnerung an Sommerwärme, an den Geruch von Essen und Blumen, an das Geknatter der Fahnen und Stoffbahnen, die von seiner Burg hingen und in der Brise tanzten.
Er sah Dielsdorfer, wie er die Gesandtschaft aus Trier anführte, sich vor Rainald und Sophia verbeugte, dann mit lässiger Geste den Strom aus Willkommensgeschenken dirigierte, die die Städter vor Rainald und Sophia ausbreiteten (es war ein Haufen Spielzeug dabei, so unübersehbar wie Sophias gerundeter Bauch – Johannes’ Geburt war nicht mehr fern). „Es ist schön, wieder einen neuen Herrn hier zu haben, der für die Sicherheit unserer Wege sorgt“, hörte Rainald Dielsdorfer sagen. „Ich hoffe, die Stadt Trier wird sich als guter Verbündeter und treuer Freund des Herrn von Mandach erweisen, wenn es einmal nötig sein sollte.“
Rainald klopfte ihm auf die Schulter und fuhr dann überrascht zusammen, als die Musiker, die sich zwischen den Städtern versteckt hatten, plötzlich auf ihren Schalmeien zu pfeifen und zu trommeln begannen … Dielsdorfer grinste über seinen eigenen Scherz wie ein gutgelaunter Teufel … und das Getrommel trug Rainalds Erinnerung über zehn Jahre mit sich fort, trug
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