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Der Hirte, Teil 2 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Der Hirte, Teil 2 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Titel: Der Hirte, Teil 2 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)
Autoren: Richard Dübell
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aus verschwollenen Augen an, dann begannen ihre Blicke zu wandern.
„Blanka …“, sagte er. „Sieh mich an, Blanka.“
Sie begann erneut zu weinen und drehte gleichzeitig den Kopf, um über die Schulter zu spähen. Rainald hielt ihr Kinn fest. „Blanka …“
„Papa, du musst …“
„Sei still“, sagte Rainald, ohne zu seinem Sohn hinüberzusehen. Er zwang Blanka, seinen Blick zu erwidern. „Das hat nichts mit uns zu tun, Blanka. Wir müssen nur noch ein bisschen weiter gehen, als ich dachte, das ist alles. Wir überqueren den Fluss an einer anderen Stelle. Das hier hat nichts mit uns zu tun. Die Wölfe haben den Hund getötet, aber jetzt sind sie weg. Verstehst du mich, Blanka?“
„Papa …“
Blanka nickte stumm und mit zitterndem Kinn. Rainald rang sich ein Lächeln ab und zog sie wieder an sich heran. Einen Augenblick lang ließ er den Kopf auf ihr Haupt sinken, spürte ihre zarte Gestalt in seinen Armen verschwinden und fühlte sich müde, leer und hoffnungslos.
„Rainald“, sagte Schwester Venia. Rainald erkannte in ihrer Stimme den gleichen merkwürdigen Unterton. Endlich blickte er auf.
Johannes und die Klosterschwester standen nebeneinander an der Hausecke. Sie hatten ihm die Rücken zugewandt und sahen zum Waldrand oben am Hang hinauf. Rainald folgte ihren Blicken.
Die Baumstümpfe waren zum Leben erwacht.
Dann erkannte er, dass die Schatten vielmehr zwischen den Baumstämmen kauerten, die Schatten mit dem graubraunen Fell und den gelben Augen. Ihr Anführer stand auf einem der abgesägten Stümpfe wie ein Jagdhund, der vor dem Versteck der Beute verhält, schwarz und zottelig, breiter und größer als sein Rudel. Rainald hatte das Gefühl, dass seine Blicke zu der finsteren Gestalt hingezogen wurden, bis die funkelnden Augen, die heraushängende Zunge und die gebleckten Zähne direkt vor seinem Gesicht zu schweben schienen. Rainald hatte nur ein einziges Mal so viel Hass im Antlitz eines Lebewesens gesehen: in seinem eigenen, das sich in einem Metallteil gespiegelt hatte, als er zwischen den Trümmern in seinem Saal auf den Körper Sophias gestoßen war. Die Lefzen des Leitwolfs, der einmal ein Schäferhund gewesen war, zogen sich noch weiter von den Fängen zurück. Er bellte.
Drei Schatten glitten zwischen den Baumstämmen hervor und waren den halben Hang herunter, bevor Rainald auch nur auf die Beine gekommen war.

    „In die Hütte, in die Hütte!“, brüllte Rainald. Blanka flog in Johannes’ Arme und hätte den Jungen umgerissen, wenn Rainald ihn nicht mit der freien Hand gepackt hätte. Er schob beide so heftig in Richtung der geöffneten Tür, dass sie über die Schwelle stolperten und im Dunkel hinter der Türöffnung verschwanden. Rainald hörte sie übereinanderpoltern und Blankas Schreckensschrei. „Bleib bei ihr!“, schrie er und wandte sich um. „Verriegel die Tür, sobald Schwester …“ Er stockte, weil er sah, dass die Klosterschwester sich den Wölfen entgegenwarf. Die Tiere duckten sich beim Rennen so flach in den Schnee, dass es aussah, als seien ihre grauen Körper aus flüssigem Metall. Schwester Venia schwang einen Prügel Feuerholz, mit dem sie nicht einmal eine Maus hätte totschlagen können, wenn er leicht genug war, dass sie ihn schwingen konnte.
„Gottverdammt!“, keuchte Rainald.
„Papa!“
„Mach die Tür zu!“
Er riss sein Schwert aus der Scheide und dachte daran, dass er es an diesem Weihnachtstag öfter gezückt hatte als in den letzten acht Wochen. Die Pelze behinderten ihn beim Laufen – er schüttelte sie ab. Seine Beine ächzten, doch er zwang sie dazu, ihn hinter Schwester Venia her zu tragen. Die Wölfe waren nur noch ein paar Längen von ihr entfernt. Sie stockte nicht ein einziges Mal und schien fast über den Schnee zu laufen. Rainald würde sie niemals rechtzeitig erreichen. Er wusste, dass er sich auf die anderen Tiere und besonders auf den Anführer hätte konzentrieren sollen, aber die drei herabgleitenden Schatten hielten seine Blicke fest. Schwester Venia hob den Prügel über ihren Kopf.
Rainald scherte aus seiner bisherigen Laufrichtung aus und rannte quer zum Hang.
„Hierher!“, brüllte er und wirbelte das Schwert über den Kopf. „Versucht’s bei mir, ihr Mistkerle!“
Die Wölfe warfen sich herum und nahmen seine Verfolgung auf, schwenkten vor Schwester Venia ab und schossen den Hang herunter, auf ihn zu. Zu seiner Verblüffung, dass es funktioniert hatte, kam der Schreck, dass sie es nun tatsächlich auf ihn abgesehen
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