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Der Hirte, Teil 2 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Der Hirte, Teil 2 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Titel: Der Hirte, Teil 2 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)
Autoren: Richard Dübell
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…?“
„Passt auf die Kinder auf, Schwester.“
Er drehte sich einmal um sich selbst: die stille Hütte mit der gähnenden Türöffnung; das langsam vor ihm davonfließende, schwarze Wasser; der Waldrand; die Baumstümpfe; die Gesichter seiner Begleiter, große Augen und bleiche Lippen bei den Kindern, angespannte Züge bei der Klosterschwester; der Waldrand an der anderen Seite; der heranrollende Fluss; die Hütte … Rainald hörte das Knarren des Schnees unter seinen Stiefeln. Sie waren da. Er wusste, dass sie da waren. Er hatte es gewusst, als er oben am Hang unter den letzten Bäumen hervorgekommen war. Er hatte es gewusst, aber Johannes hatte es gesagt. Er hatte schon jede Menge Tote gesehen, und über ein Schlachtfeld zu stolpern und nachzusehen, ob von den Freunden welche nicht so schwer verwundet waren, dass man ihnen am besten ein gnädiges Messer ins Herz stieß, war bei weitem schlimmer als alles, was ihn in der Hütte erwarten konnte. Er erinnerte sich an das Grinsen des Fährmanns, als er „… und nicht zu knapp!“ sagte, und daran, wie der vierschrötige Gehilfe Rainald seine Kapuze übergezogen und ihn dann auf die Wange getätschelt hatte. Sie waren nicht seine Freunde, und ihre Hilfe war nicht kostenlos gewesen; aber sie hatten ihm geholfen. Sie hatten nicht einmal darüber nachgedacht. Er holte Atem und trat die Tür ganz auf.
    Schwester Venia bekreuzigte sich, als er wieder herauskam. Das Licht war trüb, dennoch blendete es ihn. Er kniff die Augen zusammen.
„Nichts“, sagte er. „Keiner da.“ Es hatte eine Art Tisch mit einer Art Stühlen gegeben. Die Stühle waren umgefallen gewesen. Im Türrahmen war ein Pfeil gesteckt – innen. Ansonsten … „Nichts“, wiederholte er. „Noch nicht mal ein Blutstropfen.“ Er ließ das Schwert sinken. Die Stille, die über der Fährstelle lag, hallte in seinen Ohren.
Die Blicke der Klosterschwester irrten ab. Rainald nickte. „Ich sehe hinter der Hütte nach.“
„Ich komme mit“, sagte Johannes.
„Du bleibst hier.“
„Ich möchte dir helfen, Papa.“
„Du bleibst hier und passt auf deine …“ Rainald brach ab. Johannes schluckte, plötzlich noch bleicher geworden. „Du bleibst einfach hier“, sagte Rainald barsch. Er warf sich herum und lief um die Hütte herum.
    Zuerst sah Rainald den Hund, obwohl der Anblick der Fährstelle bei weitem bedeutender war. Er blieb stehen, als ob er gegen eine Wand geprallt wäre. Hinter sich hörte er plötzlich Johannes etwas rufen und die vor Hysterie schrille Stimme Blankas. Er hob seine Blicke von dem verfärbten Fleck im Schnee; es bereitete ihm Mühe.
Die Fähre war eine Art flaches Boot gewesen, mit Kabelrollen an Bug und Heck, durch die das Gierseil lief. Man zog die Fähre mit Muskelkraft von einem Ufer zum anderen; im Sommer, wenn das Wasser niedriger stand, konnte man mit Hilfe einer langen Stange zusätzlich staken. An all das erinnerte sich Rainald; was er sah, war der Überrest einer der beiden Kabelrollen, der noch im Gierseil hing und es unter Wasser drückte. Die Fähre selbst war spurlos verschwunden. Als die Kabelrolle einmal kurz aus dem Wasser auftauchte, erkannte Rainald das gesplitterte Holz, wo sie sich von der Fähre losgerissen hatte. Das Kabel hatte Zähne aus Eiszapfen. Er versuchte zu verstehen, was er sah, da hörte er hinter sich hastige Schritte und das Greinen Blankas, die mit ihrer Kraft am Ende und ihm nachgelaufen war.
Rainald reagierte viel zu langsam. Als er sich so hinstellte, dass sie den Hund nicht sehen konnte, war es bereits zu spät. Blanka ballte die Fäuste vor dem Mund und begann zu kreischen.

    Rainald wirbelte seine Tochter herum und drückte ihr Gesicht in den Pelz, den er trug. Blanka schrie hysterisch. Er starrte auf das, was die Wölfe von dem Hund übriggelassen hatten; er wusste, dass es das war, was auch auf sie wartete, und er ahnte, dass der Anführer der Wölfe den Hass seines Rudels auf ihren entfernten, domestizierten Artgenossen noch angestachelt hatte. Was hatte er in dem Hund gesehen, der versucht hatte, sein Heim zu verteidigen? Etwas, zu dem er niemals mehr würde zurückkehren können? Rainald fühlte die Kälte, die über seinen Rücken lief, und das Schluchzen, das Blankas schmale Gestalt schüttelte.
„Schon gut, meine Kleine“, krächzte er.
„Papa“, sagte Johannes. Rainald sah nicht auf. Er löste Blankas Hände von seinem Hals und schob sie auf Armeslänge von sich. Ihr Gesicht war nass von Rotz und Tränen. Sie starrte ihn
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