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Der Hirte, Teil 2 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Der Hirte, Teil 2 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Titel: Der Hirte, Teil 2 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)
Autoren: Richard Dübell
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hinter der Hütte eine Fähre im Fluss hing und dass er sich mit Hilfe der Fährleute in Sicherheit bringen konnte.
„Wir sind in Sicherheit“, sagte er und brachte ein Grinsen zustande. Blanka hielt sich an Johannes’ Hand fest und sah ihn erschöpft an. „Gehen wir.“
Er war bereits zwischen den Baumstümpfen, als er merkte, dass die anderen nicht nachkamen.
„Hier stimmt was nicht“, sagte Johannes.
Rainald biss die Zähne zusammen. „So?“, sagte er, und mit dem Tonfall seiner Stimme hätte man tatsächlich ein Loch in den Schnee brennen können.
„Leute, die so einsam leben, haben bestimmt Hunde. Wo sind die Hunde? Sie müssten uns wittern!“
„Die Hunde sind drin und wärmen sich den Pelz am Feuer.“ „Und es gibt nirgendwo um die Hütte herum Spuren. Wenn das eine Fähre ist, dann leben dort doch mindestens drei oder vier Menschen, Papa. Warum sieht man keine Spuren?“ „Sie gehen nicht raus bei der Kälte.“
„Nicht mal zum Abtritt?“
„Was willst du eigentlich, verdammt? Hier ist die Fähre, hier ist der Fluss, hier setzen wir über, und danach ist es ein Katzensprung bis zur Didrichsburg. Was passt dir daran nicht, Sohn?“ An Schwester Venias Blick erkannte er, dass auch sie gehört hatte, dass er die Bezeichnung „Sohn“ wie ein Schimpfwort verwendet hatte. Johannes schien zum ersten Mal seit langem darüber hinweggehört zu haben. Er drehte den Kopf hin und her.
„Und es ist so still …“
Das Schlimmste daran war, dass es Rainald ebenso aufgefallen war wie dem Jungen. Alles, worauf Johannes hingewiesen hatte, und zusätzlich noch der befremdliche Umstand, dass kein Rauch aus der Kaminöffnung aufstieg und dass das Gierseil der Fähre nicht so tief im Wasser hätte hängen dürfen. Fährleute waren nicht dämlich – wenn es eine Möglichkeit gab, das Seil so über den Fluss zu führen, dass sie im Winter nicht mit eiskaltem, halb gefrierendem Wasser hantieren mussten, dann taten sie es.
„Papa, ich hab Angst.“
„Hast du nun erreicht, was du wolltest? Deiner Schwester Angst eingejagt? Wenn du nicht sofort den Mund hältst …!“ „Johannes hat Recht“, sagte Schwester Venia.
„Na prima! Seid Ihr jetzt Expertin für merkwürdige Situationen geworden?“
„Du findest es hier also auch merkwürdig?“
„Zum Teufel!“ Rainald stapfte weiter.
Nach ein paar Augenblicken folgten sie ihm. Er hörte, wie Blanka nach ihm rief, aber er war zu verärgert, um auch nur zu antworten. Als sie schwieg, drehte er sich im Gehen um. Sie lief jetzt dicht neben Schwester Venia her und sah zu der jungen Schwester auf, und über beider Züge huschte ein Lächeln. Rainald hatte das verkniffene, düstere Gesicht erwartet, das Blanka immer aufsetzte, wenn sie wütend oder beunruhigt war oder nichts sich ihren Plänen fügte. Die beiden sahen ihn an, und Blankas Lächeln verbreiterte sich noch. Für einen Moment aus dem Gleichgewicht, stolperte Rainald über eine Wurzel. Sein Blick irrte zu Johannes und ertappte den Jungen dabei, wie er sich verstohlen eine Träne von der Wange wischte.
Oberflächliche Verletzungen des Fleisches, tiefergehende Verwundungen der Seele – wie jedes Kind hatte auch Johannes seinen Teil davon empfangen, und wann immer Rainald dagewesen war, hatte der Junge sich seinen Vater als Trostspender gesucht anstatt seiner Mutter. Rainald glaubte, sich an jede verzweifelte Umarmung, an jedes Schluchzen, an jedes Wimmern, an jedes nassgeweinte Hemd zu erinnern, und er fühlte den Körper Johannes’ in seinen Armen, vom zarten Kleinkind bis zum schlaksigen Jungen. Ihre Blicke trafen sich; Johannes blickte sofort beiseite. Rainald verzog das Gesicht und setzte den Weg zur Hütte fort, dabei in Gedanken jedem Baumstumpf einen Tritt gebend.
Dann sah er die offene Tür. Sie schwang hin und her in der leichten Brise am Flussufer, die ihn jetzt auch erfasste. Der Wind roch nach weiterem Schnee und biss in seine Wangen. Er glaubte das Pochen der Tür zu hören, wie sie an die Wand stieß, doch es war nur sein Herz. Das Bündel wog auf einmal mehr als zuvor. Nein, dachte er, ohne zu wissen, was genau er erwartete, was genau er fürchtete. Nein …
Er ließ das Bündel fallen und zog das Schwert. Hinter sich hörte er, wie Blanka erschrocken einatmete. Seine Finger waren steif vor Kälte. Er blickte auf seine Faust hinab und sah in den Falten zwischen den Fingern die vertrockneten Spuren von Caesars Blut.
„Ich seh nach“, sagte er. „Ihr bleibt hier.“
„Was glaubst du, was
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