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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan
Autoren: Heinz G. Konsalik
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…«
    »Wenn …?« fragte einer der Hirten hart.
    »Wenn ihr in der Prawda und der Iswestija und im Moskauer Rundfunk veröffentlicht, daß ihr Deutschland haßt und gute Bolschewisten seid.«
    »Wie können wir die Heimat hassen?« schrie Rudolf Bergner.
    »Ach! Die Heimat! Ich denke, du kennst sie nicht? Ich denke, du bist Russe?« Er spuckte vor Bergner auf den Boden und verzog den Mund. »Du Schwein! Du deutsches Schwein! Man sollte euch aufhängen, statt nach Hause zu schicken –«
    Ungehindert verließ er den Raum und stieg draußen in seinen alten, rasselnden Wagen.
    Durch die Reihen der Bauern lief ein Zucken. Die Starrheit bröckelte von ihnen ab, ihre Gesichter verloren das Maskenhafte.
    »Das können sie doch nicht tun?!« schrie Vera Petrowna. Sie stürzte zu Rudolf Bergner und umklammerte ihn wie eine Erstickende. »Sie können uns doch nicht den Hof nehmen, und die Felder, und die Herden. Wir sind doch hier geboren, Rudolf …«
    »Sie können alles«, sagte Bergner leise. »Sie können alles, Veranja. Es muß draußen etwas geschehen sein, was sie daran erinnert, daß wir Deutsche sind.« Er wandte sich an die anderen. Seine Stimme übertönte ihr erregtes Gespräch. »Ich werde morgen nach Shitomir fahren!« rief er. »Ich werde mit der Regierung sprechen! Seit 174 Jahren leben wir hier – und wir bleiben hier!«
    Als die Bauern das Haus Bergners verließen, sahen sie noch das Auto Semjows über die Dorfstraße hüpfen.
    Ein einsamer Hund rannte hinter ihm her und kläffte es an.
    *
    Die Vorsprache bei dem Regierungssowjet in der Hauptstadt der Provinz Wolhynien, Shitomir, war kurz.
    Bevor Rudolf Bergner mit einem Pferdekarren aus Nowy Wjassna abfuhr, hatte er den Besuch der anderen Dorfbürgermeister des Gebietes bekommen.
    Bei einigen war ebenfalls Igor Igorowitsch Semjow gewesen; andere hatten den Befehl mit der Post bekommen, die einmal in der Woche von einem reitenden Briefträger aus Korosten über das Land und in die Sümpfe zwischen Pripjet und Bug gebracht wurde.
    Es gab keinen Zweifel mehr: Nicht Nowy Wjassna allein galt der unsinnige Befehl aus Moskau – an alle deutschen Dörfer und Bauern in Wolhynien war der Erlaß gegangen, ihre Sachen zu packen und mit Pferd und Wagen und tragbarem Gepäck nach Shitomir zu ziehen, wo sie in Viehwagen weggebracht werden sollten nach Deutschland.
    Der Regierungssowjet sah Rudolf Bergner groß und erstaunt an, als er erfuhr, welchen Sinn der Besuch aus Nowy Wjassna hatte.
    »Lebt ihr hinter dem Mond, Genossen?« fragte er grob. »Lest ihr keine Zeitung? Hitler hat einen Krieg mit Polen angefangen und es erobert!«
    »Wer ist Hitler?!« fragte Bergner.
    »Man sollte deinen Schädel aufmeißeln und nachsehen, ob du überhaupt Gehirn hast! Seit 1933 ist der neue Herrscher in Deutschland Hitler! Adolf Hitler! Er nennt sich ›Der Führer‹! Er ist ein Held wie Stalin.«
    »Der Führer –«, sagte Bergner leise. Er hatte einen unangenehmen Geschmack im Mund.
    »Er wird euch in die Heimat führen, nemjäzkij.«
    »Hitler? Was geht uns Hitler an?«
    »Er hat uns die Hälfte von Polen mitgegeben. Wir haben brüderlich geteilt. Ist ein großer Mann, euer Hitler! Er hat mit Stalin einen Nichtangriffspakt geschlossen, und jetzt verteilen wir die Welt unter uns! Euch aber hat er zurückgerufen.«
    »Uns?« Bergner schüttelte den Kopf. »Er kennt uns doch gar nicht.«
    »Hitler hat gesagt: ›Ich vergesse nicht meine Brüder in Siebenbürgen, hinter dem Ural, an der Wolga und in Wolhynien. Ich hole euch heim ins Reich!‹ – Das hat er gesagt, und der große Stalin hat den Wunsch erfüllt.«
    »Heim ins Reich …« Rudolf Bergner wischte sich verstört über die Augen. »Aber er weiß doch gar nicht, ob wir es wollen. Wir kennen doch Deutschland gar nicht. Seit 174 Jahren leben wir in Rußland. Wir lieben dieses Land. Unsere Kinder sind hier geboren, wir sind hier geboren … Nur unsere Namen, unsere Art und unsere Sprache sind deutsch –«
    »Genügt das nicht?«
    »Um Tausende Männer, Frauen und Kinder wegzureißen von Haus und Hof? Nein!«
    Der Regierungssowjet schüttelte den Kopf und zündete sich eine Papyrossi an. Vorher drückte er zweimal das lange Pappmundstück zusammen und roch genießerisch an dem goldgelben Tabak. Er kam aus China und schmeckte süß wie Honig.
    »Was schreist du so«, sagte er und blies den Rauch an die weißgetünchte Decke. »Es ist Politik. Davon verstehst du nichts.«
    »Und Sie werden nicht nach Moskau schreiben und
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