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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Deutschland –«
    »Nach –«
    Rudolf Bergner sah auf seine Frau. In ihren Augen stand etwas wie Grauen vor dem Wort Deutschland. Sie war Russin, eine geborene Sislewskaja. Sie kannte Deutschland nicht, sie hatte es nur in der Schule auf einer großen Karte von Europa gesehen, und der Towaritsch utschitel (Lehrer) hatte mit einem Stock auf einen kleinen blauen Fleck gezeigt und gesagt: »Das hier, dieser Fleck, der aussieht, als habe man auf die Karte gespuckt, das ist Deutschland. Und hier, das große Reich, die halbe Welt, das ist Mütterchen Rußland. Dieser Spuckfleck aber, dieser Fleck einer zerdrückten Wanze, ist der größte Feind Rußlands! Wir müssen Deutschland vernichten … dafür lebten eure Großväter, dafür leben eure Väter, dafür müßt ihr leben! Die Welt wird erst glücklich sein, wenn Rußlands Grenzen dort sind …« Und er zeigte auf einen großen blauen Fleck, und sie lasen gemeinsam im Chor, leiernd, wie es Schulkinder tun: »Deutschland … Nordsee – Ostsee – Deutschland – Nordsee – Rußland –«
    »Nach Deutschland?« sagte Rudolf leise.
    »Ja.«
    »Was sollen wir in Deutschland?«
    »Ihr seid doch Deutsche?«
    »Ich habe Deutschland nie gesehen! Das weißt du!« Rudolf Bergner ließ den Arm kreisen. Seine Bewegung umfaßte alle Bewohner von Nowy Wjassna, die in seiner Stube dicht an dicht standen. »Wir alle sind in Rußland geboren. Unsere Eltern, unsere Großeltern kamen aus Deutschland.«
    Igor Igorowitsch Semjow hob die breiten Schultern. »Was interessiert es mich, Genosse?! Sie werden es im Kreml besser wissen!«
    »Du mußt ihnen schreiben, daß es ein Irrtum ist!«
    »Moskau irrt sich nie!«
    »Es ist doch Wahnsinn, uns von den Häusern und den Weiden wegzuschaffen in ein Land, das wir nicht kennen!«
    »Es ist die Heimat, Genosse.«
    »Unsere Heimat ist Rußland, sind die Weiden zwischen Jumiltschin und Miakolowitschi, sind die Sümpfe von Ubortj, sind die Fische im Usch, sind die Steppen Andrejewitze! Man kann uns doch nicht einfach –«
    Semjow nickte heftig. Er unterbrach Rudolf Bergner, indem er sich erhob.
    »Man kann, Genosse!« Er drehte sich plötzlich herum und sah Bergner an. Seine schräggestellten Augen glitzerten. Das Asiatische seines Gesichtes prägte sich heraus. Macht, dachte Semjow. Oh, welche Macht! Sie haben mich alle mit Mißachtung angesehen, weil ich eine gelbe Haut habe. Jetzt zeige ich es ihnen, jetzt vernichte ich sie mit meinem Lächeln. O ihr verdammten nemjäzkijs (Deutschen), ihr stolzen Bauern, ihr fleißigen Arbeiter, ihr klugen Neunmalklugen … jetzt seid ihr arm wie Mäuse im Stroh, wenn die Heugabel nach ihnen sticht.
    »Sprichst du nicht Deutsch, Genosse?« fragte er leise. Dabei lächelte er und rieb sich die Hände.
    »Ich spreche Deutsch und Russisch.«
    »Und deine Kinder?«
    »Auch!«
    »Und wie heißt du, Genosse?«
    »Bergner –«
    »Ich weiß, ich weiß. Wir kennen uns ja … seit 10 Jahren, Genosse Bergner. Doch sag einmal: Ist Bergner ein russischer Name?«
    Durch Rudolf Bergner zog es wie ein eisiger Hauch. Auch die anderen schienen ihn zu spüren … selbst das erregte, hastige Atmen verstummte im Raum.
    »Das ist die dümmste Frage, die du je gestellt hast«, würgte Rudolf Bergner hervor.
    »Es ist die klügste, Genosse.« Semjow rieb sich die Hände. »Und kennst du einen Russen, der Rudolf heißt?« Er reckte sich und lächelte. Er ging einmal im Zimmer herum, so weit er Platz hatte, zu gehen, und lächelte sie alle an, die dort standen und ihn anstarrten mit Haß oder Angst, Ratlosigkeit oder verhaltener Wut. »Rudolf!« sagte er laut, als er wieder vor Bergner stand. »Und du willst ein Russe sein? Mit diesem Namen? Nicht einmal einen anständigen russischen Namen hast du dir angeschafft in all den Jahren, seit der großen Katharina!« Er lachte laut und bog sich zurück. »Und Deutsch sprichst du auch, du Russe?!«
    »Es wird ja sogar in den Schulen gelehrt«, schrie Anna Petrowna aus der Menge.
    Igor Igorowitsch Semjow wandte sich zur Tür. Dort standen die Hirten und wichen nicht zurück, als er sich mit trägen Schritten näherte. Plötzlich stand Schweiß auf seiner Stirn, aber sein Lächeln erstarb nicht, sondern wurde breiter.
    »Gebt das Türchen frei«, sagte er sanft. »Was wollt ihr von mir, Genossen? Ich bringe nur eine Nachricht aus Moskau. Weiter nichts.« Er drehte sich noch einmal um und überblickte die Schar der Bauern und Frauen und Kinder. »Ihr könntet bleiben, sagt Genosse Stalin
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