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Der Hexer - NR22 - Die Hand des Dämons

Der Hexer - NR22 - Die Hand des Dämons

Titel: Der Hexer - NR22 - Die Hand des Dämons
Autoren: Verschiedene
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müssen. Vernon vertrieb den Gedanken. Es gab Erinnerungen, die noch schlimmer als die Einsamkeit hier oben waren.
    In quälender Langsamkeit verstrichen die Stunden. Das Wetter besserte sich nicht. Die Ausläufer der Sierra Nevada im Südwesten Amerikas waren berüchtigt für ihr rauhes Klima, und im Oktober war Sonnenschein schon eine Seltenheit. Drei Wochen dauerte es noch bis zur Winterpause, die bis zum Februar währte. Immerhin wurde er auch in dieser Zeit voll bezahlt. Die freien Monate waren ein Ersatz für die Wochenenden und die Feiertage, die er durcharbeiten mußte.
    Vernon freute sich auf die freie Zeit. Außerhalb der Winterpause gab es für ihn so gut wie kein Familienleben. Er dachte an seine Kinder, die dreijährige Rebecca und den siebenjährigen Timothy, die praktisch ohne Vater aufwuchsen, weil es dem Halsabschneider von Rancher gelungen war, den Unfall als sein eigenes Verschulden hinzustellen. Wenn er abends nach Hause kam, lagen sie bereits in ihren Betten, und wenn er morgens das Haus verließ, dann schliefen sie noch. Im Grunde, dachte er betrübt, waren seine Kinder für ihn nichts weiter als zwei schlafende, blasse Gesichter auf verschlissener Bettwäsche.
    Ein Schrei riß Vernon Brewster in die Realität zurück. Er schrak hoch und blickte sich verwirrt um. Der Schrei war laut und schrill gewesen, seltsam verzerrt und auf eine bizarre Art unmenschlich. Aber es war auch nicht der Schrei eines Tieres gewesen. Vernon war sich sicher, daß er einen so entsetzlichen Laut noch niemals zuvor gehört hatte, nicht einmal hier, auf dem Turm, dessen Einsamkeit der beste Nährboden für Illusionen und Trugbilder war. Der Schrei war so laut gewesen, als ob er unmittelbar neben ihm ausgestoßen worden wäre.
    Und doch war er allein auf dem Turm...
    Brewster blickte sich furchtsam um. Es war inzwischen später Nachmittag geworden und hatte leicht zu dämmern begonnen. Nichts hatte sich verändert. Alles bot den gewohnten, verhaßt monotonen Anblick; zumindest schien es auf den ersten Blick so. Und doch... etwas war anders. Ohne daß er zu sagen vermochte, was es war, hatte seine Umgebung sich beinahe unmerklich verändert. Die düsteren Schatten um ihn herum waren länger geworden, länger und dunkler, als es allein mit der vorgerückten Tageszeit zu erklären gewesen wäre. Etwas Bedrohliches hatte von der kleinen Plattform Besitz ergriffen, nistete in den Schatten und streckte unsichtbare, gierige Fühler nach ihm aus. Er spürte das Fremde mit jeder Faser seines Körpers.
    Fahrig strich Vernon sich mit der Hand durch die schwarzen Haare. Er hatte plötzlich das Gefühl, sich in einer tödlichen Falle zu befinden, einer Falle, die jeden Augenblick zuschnappen konnte.
    Seine Furcht verdichtete sich zur Panik, die sein ganzes Denken erfüllte. Er dachte an nichts anderes mehr als an Flucht.
    Sein Blick fiel auf das Anwesen des Grauen Bredshaw. Wie von einer ungeheuren Kraft wurde sein Blick dort festgehalten. Zum ersten Mal sah er das Anwesen deutlich; deutlicher, als es bei dieser Entfernung eigentlich der Fall sein dürfte. So deutlich wie durch ein Fernglas sah er die Gebäude und den Hof vor sich.
    Und er sah, wie das Eingangsportal des Herrenhauses geöffnet wurde...
    Ein Mann trat heraus. Ein Mann, den Vernon Brewster kannte, obwohl er ihm noch nie begegnet war und auch noch niemals ein Bild von ihm gesehen hatte. Wahrscheinlich gab es in ganz Arcenborough kein Bild dieses Mannes. Aber in den furchtsam hinter vorgehaltener Hand weitergegebenen Mythen, die sich um seine Gestalt rankten, war er beschrieben worden, immer und immer wieder. Brewster meinte, jede Falte in dem aristokratisch geschnittenen Gesicht mit den kalten, stechenden Augen zu erkennen. Jede noch so kleine Linie, jede Strähne seines Haares, jeden Quadratzoll seines Gesichtes.
    Der Mann war Bredshaw.
    Aber der Graue Bredshaw war seit hundert Jahren tot!

    * * *

    Im Laufe der Stunden war die Fahrt zu einem Alptraum geworden. Die Polster des Zugabteils waren hart, und die ungefederten Achsen gaben jede Erschütterung gnadenlos an den Wagen und seine Insassen weiter, so daß mir jeder Knochen im Leibe schmerzte. Ich saß wie auf glühenden Kohlen und sehnte das Ende der Reise herbei. Meine Gedanken kreisten nur noch darum, träge und irgendwie schwerfällig.
    Die Luft im Abteil war verbraucht und viel zu warm, was bei geschlossenen Fenstern und fünf Menschen, die auf so engem Raum zusammengepfercht waren, auch völlig normal war.
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