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Der heilige Erwin

Der heilige Erwin

Titel: Der heilige Erwin
Autoren: Jasna Mittler
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der die ganze Bauchhöhle ausfüllt. HUNGER !
    Das findet Gott sehr aufregend. Eine existentielle Erfahrung! Also, was tut ein hungriger Mensch mittags in der Stadt? Er sieht sich um und erblickt ein Schild: »Fritten-Karl 300 m« und darunter das verblasste Bild einer lächelnden Frau, die gerade in ein längliches gelbes Ding beißt. Der prompt knurrende Magen bestätigt Gott in der Annahme, dass Er auf dem rechten Pfad ist. Er folgt dem Hinweis und steht bald darauf vor einer ehemals weißen Bude, die einen eigenartigen Geruch verströmt. Drinnen steht ein dicker Mann mit fleckiger Schürze, eine glühende Zigarette im Mundwinkel. »Was soll’s sein?« Die Stimme des Mannes klingt, als hätte er absolut keine Lust, in dieser Bude zu stehen. Gott lässt sich nicht entmutigen: »Ich hätte gerne etwas zu essen.« Der Mann lacht heiser. »Na, da bist du bei mir richtig. Pommes?« Gott nickt. »Und vielleicht ’ne leckere Currywurst?« Er bestätigt auch dies und ist gespannt, was ihn erwartet. Der Frittenbudenmann hantiert ein wenig mit seinen Geräten herum, Fett spritzt auf, und man hört es brutzeln. Gott schaut fasziniert dem Geschehen zu. Dann ist das Essen fertig. Der Mann stellt eine Pappschale auf die Theke. »Bitte sehr. Macht drei Euro achtzig.«



5

    H oppla – das hat Gott nicht bedacht. Er betrachtet die Mahlzeit, die so verlockend dampfend vor ihm steht, und das Wasser läuft ihm im Mund zusammen. So nah am Ziel, und jetzt das! Der Verkäufer wird ungeduldig: »Ja was denn, drei Euro achtzig, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!« Gott befühlt Erwins Taschen. Tatsächlich, in der linken Hosentasche sind ein paar Geldstücke. Er legt sie auf den Tresen. Ein Euro, zwei Mal fünfzig Cent, ein paar kleinere Münzen. In der anderen Tasche findet Er einen Knopf. Ansonsten: Fehlanzeige.
    Karl kratzt sich am Kopf. »Was soll denn jetzt der Scheiß?« Er sieht dem Bettler ins Gesicht. Was für blaue Augen, und wie flehend der guckt! Verflucht, Karl, du bist zu weich fürs Geschäft. »Na gut, ausnahmsweise. Aber dass du mir nicht immer mit der Masche kommst!« Er streicht das Geld ein und schiebt das Essen über die Theke. Gott ist selig.
    Vor der Bude sind zwei Stehtische aufgestellt, mit Schirmen darüber, die den Regen nicht abhalten konnten. Gott wischt mit der Papierserviette über die Tischplatte, dann stellt Er sein Pappschälchen darauf. »Currywurst«, sagt Er laut, »und Pommes.« Eine kleine rote Gabel aus Plastik steckt in der Wurst. Gott nimmt sie und stopft sich das daran aufgespießte Fleischstück in den Mund. Warm. Seltsam. Aber nicht schlecht. Die Fritten fasst Er mit den Fingern, schmeckt das Salz und die leicht matschige Konsistenz. Eine, noch eine. Dann ein Stück Wurst, Wurst mit Fritte, Fritte mit Soße. Schnell ist das Schälchen leer. Gott fährt noch einmal mit dem Finger durch den letzten Rest Currysoße, dann ist sein Mahl beendet. Er rülpst, streckt sich und streicht zufrieden über Erwins Bauch.

    Am Nachbartisch steht jetzt ein Mann. Auch er hat eine Portion Pommes vor sich stehen, die er sich Stück für Stück einverleibt. Mit einer Hand umklammert er außerdem eine braune Flasche, Kölsch steht darauf und noch etwas anderes.
    Gott bekommt schlagartig Durst. Erwins Zunge fühlt sich pelzig an, die Kehle ist trocken. Das ist ja noch schlimmer, als hungrig zu sein! Gott überlegt, wie Er diesen Zustand ändern kann, und schlendert dann kurz entschlossen zum Nachbartisch. Er stellt sich dem Mann gegenüber und malt mit dem Finger Kringel auf die nasse Tischplatte. Dann hebt Er den Kopf und sieht seinem Gegenüber geradewegs in die Augen: »Ich habe Durst. Wären Sie so freundlich, mir einen Schluck Ihres Getränks zu gewähren?« Dem Mann fällt fast die Fritte aus dem Mund. Unwirsch entgegnet er: »Wie käm ich denn dazu?!« Gott ist erschüttert. Das ist nun wirklich nicht das, was Er sich von seiner Kreatur erhofft hat. Hat denn der Kerl noch nie was von Nächstenliebe gehört? Aber anstatt ihm eine belehrende Predigt zu halten, greift Gott sich kurzerhand die Flasche, setzt sie an den Mund und leert sie in einem Zug. »Ich danke Ihnen für Ihre Güte!«, raunt Er dem verdutzten Mann noch zu, dreht sich dann um und rennt schnell weg.
    Gott läuft, bis Er das Zetern des Mannes nicht mehr hören kann. Dann lässt Er sich auf eine Bank fallen, ganz außer Atem. Dem hat Er es gezeigt! Zufrieden lehnt Er sich zurück, und nachdem Erwins Pulsschlag sich beruhigt hat, kann Gott das
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