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Der Hausflug

Titel: Der Hausflug
Autoren: Gert Prokop
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aus, um die Scheibe einzuschlagen, da hörte er wieder die Stimme. Ganz sanft und freundlich klang sie.
    „Entschuldige bitte die kleine Ungelegenheit. Du hast doch sicher ein paar Minuten Zeit?“
    Unwillkürlich blickte Jonas auf die Uhr. Er hatte noch fast eine Stunde Zeit.
    „Wer bist du?“ rief er. „Und wo bist du? Warum versteckst du dich?“
    „Setz dich, bitte“, sagte die Stimme. „Hab noch ein wenig Geduld. Ich werde dir alles erklären.“
    „Gut, zehn Minuten“, sagte Jonas, „dann schlage ich die Scheibe ein.“
    Er ließ seinen Rucksack zu Boden gleiten und setzte sich in den Schaukelstuhl. Warum war er plötzlich so müde? Er versuchte verzweifelt, die Augen offenzuhalten, die Lider klappten zu, und er konnte sie nicht mehr bewegen. Nicht einmal mehr einen Finger. Es störte ihn nicht. Er fühlte sich wohl. Sauwohl. Und schläfrig.
    Er träumte, daß er im Bus saß, vorn, auf dem Platz neben dem Fahrer. Oma stand an der Gartenpforte und winkte. Aber der Bus hielt nicht an, und die Tür ließ sich nicht öffnen. Direkt aus der Wand vor Jonas wuchs ein Lenkrad, nicht rund wie im Auto, sondern wie in einem Flugzeug, wuchs ihm in die Finger. Und der Bus hob ab, stieg in einer engen Kurve steil in die Luft. Als Jonas sich umblickte, war aus dem Bus ein Flugzeug geworden. Und er steuerte es!
    Über Berge und Meer, über eine endlose Wüste. Tief unter sich sah er den Schatten des Flugzeugs, der über die fahlgelben Sandwellen glitt. Dann über eine Savanne, auf der eine Herde Elefanten dahinzog. Er war in Afrika! Tatsächlich, da weideten Zebras, Giraffen und Antilopen. In den Zweigen eines riesigen Affenbrotbaumes hockte ein merkwürdiges Tier mit dickem Schwanz und blaugrüner, schuppiger Haut, mit dem Kopf einer Eidechse, aus dem zwei faltige Ohren und große Augen auf Stielen ragten. Veilchenblaue Facettenaugen. Wie bei einer Spinne. Das Tier winkte ihm zu. Kam näher. Immer näher. Gleich würden seine warzigen, schuppigen, spitzen Krallenfinger ihn packen. Jonas schauderte vor Angst und Ekel, er schrie vor Entsetzen. Er versuchte, das Flugzeug hochzureißen, vergeblich, es sank und sank, fiel ins Bodenlose, gleich mußte es auf der Erde zerschellen – da landete es sanft auf einer Bergwiese.
    Er trat an den Abhang und blickte in die Tiefe, vor der er gerettet worden war. Weit unten, am Fuß der steilen, zerklüfteten Felswand standen winzige Häuser. Und dann sah er, daß wenige Meter unter ihm jemand in der Wand hing, sich mit den Fingern in den Fels krallte, ein Mädchen, nicht älter als er. Es winkte mit dem Kopf, schrie aus weit aufgerissenem Mund, Jonas konnte die Worte nicht hören. Er riß den Rucksack auf, holte das Seil heraus, band es sich um die Schulter, ließ es hinunter. Hinter ihm hupte es.
    Auf der Straße hielt ein Bus, neben dem Fahrer saß Oma, winkte. Jonas schüttelte den Kopf. Erst mußte er das Mädchen retten. Der Bus fuhr ab.
    Jonas stemmte die Füße gegen einen Stein und zog das Seil Hand über Hand hoch. Die rauhen Fasern zerfetzten ihm die Haut, rissen das Fleisch von den Knochen, er ließ nicht los, bis der Kopf des Mädchens über dem Felsrand erschien, zog es mit letzter Kraft auf die Wiese, dann fiel er entkräftet ins Gras und blickte erschöpft in den schwarzblauen Himmel.
    Sterne über Sterne. Ein Glitzern, das näher kam. Eine silberne Kugel? Eine eigentümlich geformte Raumstation! Doch nicht sie kam näher, Jonas flog auf sie zu, befand sich plötzlich in der Station, wandelte durch lange, wabenförmige Gänge, vorbei an Apparaturen mit farbig Winkenden Lichtern. Silberne Türen glitten lautlos zur Seite, sobald er sich näherte.



 
    Jonas betrat einen Raum mit einem riesigen Steuerpult. Der Sessel vor dem Pult drehte sich zu ihm herum, und in ihm saß die blaugrüne Rieseneidechse aus dem Affenbrotbaum. Jetzt trug sie einen silbernen Anzug. Das Tier richtete die faltigen Ohren steil auf, senkte die Stielaugen, streckte sie Jonas entgegen, seine Krallenfinger öffneten sich – Jonas sprang durch das zersplitternde Fenster hinaus in den Weltraum, schwebte zur Erde, verfing sich in dichten Wolken, blieb schaukelnd liegen. Wachte auf.
    Es dauerte eine Weile, bis Jonas sich erinnerte, wo er war. Der Stuhl schaukelte sanft vor und zurück. Das Messer hielt er noch immer in der Faust. Er blickte zur Uhr, sprang auf, nahm seinen Rucksack, trat an das Fenster und rief, so laut er konnte. „Die zehn Minuten sind um. Zeig dich endlich!“
    Als nicht sofort
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