Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Titel: Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Autoren: Marcello Simoni
Vom Netzwerk:
an den Tisch des Abts ins Refektorium eingeladen.
    Der Mann bewegte sich gebückt und schweren Schrittes vorwärts, dass die Dielen unter seinen Füßen knarrten. Mit blitzenden Augen sah er sich gierig um.
    Das Zimmer war spartanisch eingerichtet: zwei Lager, ein Stuhl und ein kleiner Tisch, auf dem eine Öllampe stand.
    Doch wo befand sich diese Truhe? Sie war bestimmt bis zum Rand mit Silbermünzen oder wertvollem Schmuck gefüllt. Wo hatten die beiden sie hingestellt? Hulco untersuchte den Raum sorgfältig, ohne etwas zu verrücken. Vergebens, er fand sie nicht. Aber sie musste doch hier sein!
    »Diese verfluchten Pilger!«, stieß er aus.

3
    Nach dem Abendessen setzte sich Ignazio an den Tisch in dem Zimmer, das er sich mit Willalme teilte. Er entzündete die Öllampe und holte ein mit arabischen Buchstaben beschriftetes Pergament aus seiner ledernen Tasche. Ignazio nahm eine Gänsefeder, tauchte sie ins Tintenfass und begann zu schreiben.
    Willalme legte sich dagegen sofort auf sein Lager. Jahrelang hatte er seine Nächte im Kielraum eines schwankenden Schiffes verbracht; aus diesem Grund brauchte er, obwohl erschöpft, eine Weile, bevor er Schlaf fand. Und am nächsten Tag hatte er einen wichtigen Auftrag für Ignazio zu erledigen.
    Als der Händler das Schriftstück fertiggestellt hatte, entnahm er der Truhe einen dicken Kodex, stellte die Lampe direkt neben das Buch und vertiefte sich darin. So blieb er einige Stunden lang sitzen, eingehüllt vom warmen Lichtkreis. Erst als die Schrift vor seinen Augen verschwamm, schloss er das Buch und legte es zurück in die Truhe. Er rollte den Brief, den er zuvor geschrieben hatte, zusammen, siegelte ihn und steckte ihn in die Ledertasche, um dann das Licht zu löschen und im Dunkeln seine Lagerstatt aufzusuchen.
    Bevor er sich niederlegte, blickte er zum Fenster, vor dem sich die Silhouette der Klosterkirche erhob. Er verjagte die düsteren Gedanken, die sich ihm bei diesem Anblick aufdrängten, und streckte sich aus. Doch er fand keinen Schlaf. Er musste an Maynulfo da Silvacandida denken und sah ihn vor sich: die hohe Stirn, die schlohweißen Haare und der Bart, die himmelblauen, gütigen Augen. Die Nachricht von seinem Tod hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen. Obwohl Maynulfo schon fortgeschrittenen Alters war, hatte er sich immer durch eine robuste Konstitution ausgezeichnet. Konnte die Winterkälte seinem Körper wirklich so stark zugesetzt haben?
    Ignazio wälzte sich unruhig zwischen den Laken hin und her. Der arme Maynulfo, viele Jahre lang war er der einzige Hüter seines Geheimnisses gewesen. Ignazio fragte sich besorgt, ob der alte Eremit es mit jemandem geteilt haben könnte. Zum Beispiel mit Rainerio. Dafür sprach vieles. Er musste den neuen Abt unter vier Augen sprechen und herausfinden, ob er davon Kenntnis hatte. Dabei blieb ihm nur wenig Zeit …
    Ignazio dachte an die vor ihm liegende Aufgabe, deretwegen ihn der Conte so eilig aus dem Heiligen Land zu sich gerufen hatte. Er sollte sich auf die Suche nach einem Buch machen, das in der Lage war, unvorstellbare Geheimnisse zu enthüllen, die weit über das Wissen jedes Philosophen oder Alchimisten hinausreichten. Sehr bald schon sollte er aus Venedig genauere Anweisungen erhalten.
    Er verschränkte die Hände im Nacken und starrte die Deckenbalken an, die ihn an die Rippen eines riesigen Skelettes erinnerten. Eine Beobachtung kam ihm in den Sinn, die er nach dem Abendessen gemacht hatte, als er sich mit Willalme für die Nacht zurückzog: Im Schatten des Gästehauses hatte er Hulco und Ginesio miteinander reden sehen, und ihre gestikulierenden Hände hatten die Form eines rechteckigen, ziemlich geräumigen Gegenstands beschrieben.
    Ignazio fragte sich, ob er diesen beiden Dienern mehr Beachtung schenken sollte. Hulco und Ginesio hatten sich über den Inhalt der Truhe unterhalten, daran bestand kein Zweifel, und vielleicht hatte einer der beiden sogar das Zimmer betreten, um nach ihr zu suchen.
    Nun übermannte ihn doch die Müdigkeit, seine Gedanken wurden immer schwerer, verschwommener und unzusammenhängender. Und im Schlaf, der mit Erinnerungen und alten Ängsten angefüllt war, glitt er in einen Alptraum. Ignazio hörte ein schleifendes Geräusch, als bewege sich jemand am Fußende seiner Bettstatt. Er sah zwei Hände, die langsam über die Decke nach oben glitten. Starr vor Staunen riss er die Augen auf und konnte nur ohnmächtig zusehen. Seine Glieder waren so unbeweglich und gefühllos wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher