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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes
Autoren: Andreas Winkelmann
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Märchen klingen. Und ich werde dafür sorgen, dass sie den Eindruck haben, die einsame Frau Wittmershaus hat nichts Besseres zu tun, als sich selbst zum Kaffee einzuladen und solche Geschichten zu erzählen.»
    «Und dann?», fragte Maria und zog damit die Blicke auf sich.
    «Dann warten wir ab», sagte Hanna. «Und beten.»

4
    «Zwanzig- oder dreißigtausend, mehr brauchen wir doch gar nicht. Wenn ich nicht so viel selbst gemacht hätte, hätten wir die schon längst ausgegeben.»
    «Aber damit liegen wir weit über dem, was wir uns als Grenze gesetzt hatten. Erinnerst du dich noch?»
    Tom ging zum Fenster, sah einen Moment in den dunklen Garten hinaus und drehte sich zu ihr um. «Natürlich erinnere ich mich. Aber bei einer Renovierung kann man nie genau sagen, wie teuer es wird. Dreißigtausend, was ist das schon?»
    «Eine Menge Geld! Und wer weiß … vielleicht gewährt Barnickel uns keinen zusätzlichen Kredit mehr? Können wir nicht bis zum nächsten Jahr warten?»
    Er schüttelte den Kopf und kam zurück zur Couch.
    «Das ändert doch nichts. Nächstes Jahr haben wir auch nicht mehr Geld. Wenn wir die Fenster nicht vor dem Winter auswechseln lassen, blasen wir das Heizöl praktisch zum Fenster hinaus. Nein, es ergibt nur Sinn, wenn wir es jetzt gleich machen. Und was Barnickel angeht … den lass mal meine Sorge sein. Ich kann ganz gut mit ihm, da sehe ich keine Probleme. Immerhin habe ich einen unbefristeten Job im besten Architekturbüro der Stadt.»
    Tom stand mit Händen in den Taschen vor der Couch und sah sie an. Im schummrigen Licht der kleinen Kaminlampe waren seine Züge weich und mit tiefen Schatten untermalt. Während der Umbauphase hatte er sechs Kilo abgenommen; das stand ihm gut, er wirkte jugendlicher denn je. Außerdem hatte er wieder sein Kleine-Jungen-Gesicht aufgesetzt. Jetzt glaubte Kristin nicht, dass er diesen Ausdruck mit Berechnung einsetzte. Er bekam ihn einfach, wenn er etwas wollte, es aber so aussah, als würde er es nicht bekommen. Tom hatte sich nie mit dem ersten Nein zufriedengegeben, er war jemand, der für seine Vorstellungen kämpfte. Ohne sein Durchsetzungsvermögen würde ihr eigenes Haus noch in weiter Zukunft liegen, das wusste sie. Ihr Vater war ganz anders gewesen; er war stets den Weg des geringsten Widerstandes gegangen. Sie hatten nie ein eigenes Haus besessen, und nie hatten sie mit solchen Summen jongliert. Kristin war nicht wohl dabei, aber sie vertraute Tom. Und dieses Gesicht liebte sie.
    Sie klopfte mit der flachen Hand auf die Sitzfläche des Sessels. Als Tom nicht gleich reagierte, klopfte sie noch einmal. Schließlich kam er zu ihr. Sie drückte ihn in den Ledersessel und setzte sich auf seinen Schoß.
    «Und du bist dir sicher?», fragte sie.
    Tom nickte.
    «Dann lass es uns machen. Ich vertraue dir.»
    «Nur wenn du es auch willst.»
    «Ich wollte schon immer das, was du willst. Deshalb passen wir doch so gut zueinander.»
    «Vorhin warst du anderer Meinung.»
    «Wegen dem Geld. Diese großen Summen bin ich nicht gewöhnt. Sie machen mir immer noch Angst. Dieses Haus verschlingt so viel.»
    «Aber es ist schön geworden, nicht wahr?»
    Kristin schlang ihre Arme um seinen Nacken und gab ihm einen Kuss. «Mehr als das. Es ist die Erfüllung unseres Traumes.»
    Er fuhr mit seinen Händen unter ihr T-Shirt und streichelte ihren Rücken. «Und, bist du glücklich?»
    Kristin schloss die Augen. Seine Berührung verursachte eine Gänsehaut bei ihr. «Das weißt du doch.»
    «Sag es mir trotzdem.»
    Sie legte ihre Hände an sein Gesicht, presste ihre Lippen auf seine und küsste ihn. Als ihre Zungen sich fanden, spürte sie seine Erregung an ihrem Oberschenkel. Vorsichtig ließ sie ihr Becken kreisen.
    «Reicht dir das als Antwort?»
    «Nein.»
    «Was möchtest du noch?»
    «Alles.» Seine Hände glitten nach vorn und über ihre Brüste. Kristin seufzte und vergrub ihr Kinn an seinem Hals. Der letzte Hauch seines am Morgen aufgetragenen Rasierwassers stieg ihr in die Nase.
    «Versprichst du mir was?», flüsterte sie ihm ins Ohr.
    «Was du willst.»
    «Du darfst Lisa und mich nie verlassen.»
    «Spätestens morgen früh muss ich zur Arbeit.»
    Sie ließ ihre Hand zwischen seine Beine gleiten und drückte sanft zu. «Nie!»
    Mehr als ein gepresstes «Nie» bekam Tom nicht mehr heraus. Für die nächste halbe Stunde sprach keiner von beiden. Damit gab Tom ein Versprechen, das er nicht halten konnte – und auch nicht halten würde.

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