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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas
Autoren: Antje Babendererde
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einer der Türen hervor. »Hab gleich alles fertig, dann komme ich.«
    Mein Vater war Fotograf. Nicht irgendein Fotograf, der Passbilder oder langweilige gestellte Hochzeitsfotos machte, obwohl auch er einmal so angefangen hatte. Nein, Papa war ein richtig guter Fotograf, der ganz tolle Reportagen machte. Er hatte schon mehrere Preise gewonnen und seine Fotos wurden auf Ausstellungen gezeigt und in großen Magazinen abgedruckt. Der Name Frank Tanner stand für Qualität und Originalität. Seit Jahren war mein Vater in seinem Beruf viel unterwegs gewesen, oft auch in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten. »Wenn du mal größer bist, Sofie«, hatte er immer gesagt, »dann nehme ich dich mit nach Afrika zu den Massai oder wir schauen uns die Pyramiden in Ägypten an. Du wirst meine Assistentin und begleitest mich überall hin.« Jedes Mal, wenn er wieder fortging, manchmal für einige Wochen, hoffte ich, dass ich bei seiner nächsten Reise groß genug sein würde, um ihn begleiten zu können. Aber es passierte nie.
    Er fuhr alleine los und ließ Mama und mich zurück. Als sich sein Versprechen abgenutzt hatte, gab ich auch meine Hoffnung auf. Ich beschränkte mich darauf, mir seine wunderschönen Fotos in den glanzbeschichteten Magazinen und Bildbänden anzusehen und ungeheuer stolz auf ihn zu sein.
    Einmal im Jahr machten wir zusammen Familienurlaub. Aber dann stand meinem Vater plötzlich nicht mehr der Sinn nach Abenteuern. Er wollte irgendwo in einem netten Hotel am Pool liegen und sich erholen. In den letzten beiden Jahren war meine Mutter ohnehin viel zu schwach gewesen, um solche Reisen zu machen. Unser Leben konzentrierte sich jetzt ganz auf sie und mein Vater begann Aufträge abzulehnen. Allerdings nicht ohne Folgen: Schnell musste er sich selbst wieder um Arbeit bemühen und sagte, in seiner Branche würde man sofort vergessen werden, wenn man nicht ununterbrochen präsent war.
    Vor einem halben Jahr hatte er den Auftrag einer großen Gartenzeitschrift angenommen, Steinmauern zu fotografieren. Wir brauchten das Geld dringend. Mein Vater war in Irland unterwegs gewesen, als meine Mutter starb. Das kann er sich bis heute nicht verzeihen. Mama war gestorben und hatte ihn mit mir und seinen Schuldgefühlen allein gelassen.
    Familie Tanner,das waren jetzt nur noch er und ich. Wir redeten nicht viel miteinander, über Mama schon gar nicht. Irgendwie funktionierte alles überhaupt nicht mehr.
    Die Küche war unaufgeräumt. Ich warf einen Blick in den Kühlschrank und stellte fest, dass sich mal wieder keiner von uns beiden für den Einkauf zuständig gefühlt hatte. In den beleuchteten Fächern herrschte gähnende Leere. Nur zwei Flaschen Bier, eine Schachtel Margarine und eine Flasche Ketschup standen da. Im Gemüsefach schrumpelte eine welke Paprikaschote vor sich hin.
    Irgendwie war uns beiden in den vergangenen Monaten der Appetit abhanden gekommen und manchmal vergaßen wir einfach zu essen. Papa würde mir keine Vorwürfe machen, das tat er nie. Aber natürlich mussten wir irgendetwas zu uns nehmen. Ich fand noch eine Pizza im Tiefkühlfach und steckte sie in die Röhre.
    So viele Pizzaabendessen in den letzten Wochen.
    Noch vor einem Jahr hätte Mama um diese Zeit in der Küche gestanden und einen herrlich duftenden Gemüseauflauf aus der Röhre gezaubert. Unsere gesunde Ernährung, auf die sie immer so geachtet hatte, war vollkommen im Eimer. So konnte es nicht weitergehen. Wir liefen herum, als wären wir nur noch Schatten unserer selbst. Ich wollte das nicht mehr. Ich wollte endlich wieder glücklich sein.
    Papa kam wenig später nach oben und schnupperte in die Küche. »Hmm, Pizza«, sagte er, als hätte ich was besonders Ausgefallenes gekocht. Blass und müde sah er aus und die grauen Haare, die sich in seine blonden mischten, waren auffällig viele geworden. Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, setzte sich zu mir an den Tisch und fragte: »Na, wie war dein Tag heute?«
    Müde hob ich die Schultern. »Ganz okay. Ich war auf dem Friedhof und habe gemalt.« Wie jeden Tag.
    Â»Gut«, sagte er zerstreut, mit seinen Gedanken schon wieder ganz woanders. Es kam nur selten vor, dass er mich darum bat, ihm meine Bilder zu zeigen. Vielleicht waren sie ihm nicht gut genug, vielleicht war er auch einfach nur zu sehr mit sich selbst und seiner Arbeit
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