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Der Gefangene

Titel: Der Gefangene
Autoren: John Grisham
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seine Baseballjacke, sein Handschuh und sein Schläger, daneben seine Gitarre.
    Neben anderen Liedern wurden zwei Gospelklassiker angestimmt, »I'll fly away« und »He set me free«. Ron hatte die beiden Lieder als Kind gelernt und sein ganzes Leben lang gesungen, bei Evangelisationen und in kirchlichen Ferienlagern, in Ketten bei der Beerdigung seiner Mutter, an den dunkelsten Tagen seines Lebens in der Todeszelle, in Annettes Haus am Abend seiner Freilassung. Die mitreißenden Rhythmen lösten die Spannung und brachten die Trauergäste zum Lächeln.
    Natürlich war es ein trauriger Gottesdienst, aber es herrschte ein allgemeines Gefühl der Erleichterung. Ein tragisches Leben war vorüber, und Ron war nun in einer besseren Welt. Darum hatte er gebetet. Endlich war er frei.
    Am späteren Nachmittag kamen die Trauernden in Ada zur Bestattung zusammen. Erfreulich viele Freunde der Familie aus der Stadt hatten sich versammelt, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Aus Respekt vor der Familie Carter hatte Annette nicht den Friedhof gewählt, auf dem Debbie begraben lag.
    Es war ein kalter, windiger Tag. Der 7. Dezember 2004 -genau zweiundzwanzig Jahre, nachdem Debbie zuletzt lebend gesehen worden war.
    Zu den Sargträgern gehörten auch Bruce Leba und Dennis Fritz. Nach ein paar letzten Worten eines örtlichen Pastors, einem Gebet und noch mehr Tränen war es Zeit, sich endgültig zu verabschieden.
    Rons Grabstein trägt die Inschrift
    Ronald Keith Williamson
Geboren am 3. Februar 1953
Gestorben am 4. Dezember 2004
Ein großer Kämpfer
Zu Unrecht verurteilt 1988
Freigesprochen am 15. April

Anmerkungen des Autors
    Zwei Tage nach der Beerdigung von Ron Williamson stieß ich beim Blättern in der New York Times auf seinen Nachruf. Die Schlagzeile »Der aus der Todeszelle entlassene Ron Williamson stirbt mit einundfünfzig Jahren« fesselte mich auf Anhieb. Der ungewöhnlich lange Nachruf war von Jim Dwyer verfasst und bot offenkundig Stoff für eine viel ausführlichere Story. Die Zeitung hatte ein bemerkenswertes Foto von Ron am Tag seines Freispruchs abgedruckt. Er wirkte ein wenig verwirrt, erleichtert und vielleicht sogar ein bisschen selbstzufrieden.
    Irgendwie hatte ich die Geschichte seiner Haftentlassung 1999 verpasst. Die Namen Ron Williamson und Dennis Fritz waren mir völlig unbekannt.
    Ich las den Nachruf zum zweiten Mal. Selbst in meinen kreativsten Augenblicken hätte ich mir keine Story ausdenken können, die so vielfältig und vielschichtig war wie die von Ron. Wie ich bald erfahren sollte, kratzte der Nachruf nur an der Oberfläche. Binnen weniger Stunden sprach ich mit seinen Schwestern Annette und Renee, und plötzlich hatte ich ein neues Buchprojekt.
    Bisher war mir kaum jemals der Gedanke gekommen, ein Sachbuch zu schreiben - dafür machen mir die Romane zu viel Spaß. Ich hatte also keine Ahnung, worauf ich mich einließ. Die Geschichte und die entsprechenden Recherchen nahmen die nächsten achtzehn Monate in Anspruch. Meine Arbeit führte mich viele Male nach Ada, wo ich Gericht und Gefängnis ebenso besuchte wie die Cafes der Stadt. Ich sah mir den alten und den neuen Todestrakt in McAlester an, fuhr nach Asher, wo ich mich zwei Stunden auf der Tribüne mit Muri Bowen über Baseball unterhielt, lernte die Büros des Innocence Project in New York kennen, aß in einem Restaurant in Seminole mit Richter Frank Seay zu Mittag, ging ins Yankee-Stadion, besuchte Tommy Ward im Gefängnis von Lexington und redete in Norman stundenlang mit Mark Barrett über die Geschichte. Ich traf mich in Kansas City mit Dennis Fritz, in Tulsa mit Annette und Renee und konnte schließlich Greg Wilhoit bewegen, aus Kalifornien nach Oklahoma zu kommen und mit mir »Big Mac« zu besichtigen. Es war das erste Mal, dass er seine alte Zelle wiedersah, die er fünfzehn Jahre zuvor verlassen hatte.
    Mit jedem Besuch und jedem Gespräch erhielt die Geschichte eine neue Wendung. Ich hätte fünftausend Seiten schreiben können.
    Die Reise führte mich auch in die Welt der Fehlurteile, an die ich, obwohl ich früher Anwalt war, kaum jemals einen Gedanken verschwendet hatte. Das Problem ist keineswegs typisch für Oklahoma - weit gefehlt. Fehlurteile gibt es jeden Monat in jedem Bundesstaat unseres Landes. Die vielfältigen Gründe gleichen sich: schlechte Polizeiarbeit, pseudowissenschaftliche Methoden, irrtümliche Identifizierung durch Augenzeugen, schlechte Verteidiger, faule oder arrogante Staatsanwälte. In den Großstädten
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