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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Ziebula
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küssen, wenn sie vor dem Altar stehen«, behauptete Susanna. Sie konnte Dinge auf eine Weise behaupten, die keinen Widerspruch duldete.
    »Sie sind doch erst sechzehn«, krähte dennoch ihre kleine Schwester.
    »Wer verheiratet ist, darf küssen.« Susanna spitzte die Lippen, schloss die Augen und wandte sich ihm zu. Hannes küsste sie auf den Mund.
    Damals duftete alles nach Aufbruch und Abenteuer. Die Welt war riesengroß, war prächtig, schön und voller Geheimnisse – wie das Heidelberger Schloss, vor dessen Tor Susanna einmal gestanden und sehnsüchtig hineingespäht hatte. Öffnete sich nicht ein Tor in diesem Augenblick damals zwischen Bachbrücke und Leiterwagen? Unendlich war das Leben, unsterblich das Herz in der kleinen Brust, und so viele verborgene Schätze, und so ein langer, aufregender Weg hinein in die riesengroße Welt.
    »Susanna! Du kommst sofort her zu mir!« Erschrocken riss Susanna die Augen auf: Das Kleid hochgerafft, hastete die Mutter an Pferdeäpfeln und Kuhfladen vorbei und durch die Hühnerschar hindurch zur Bachbrücke. Der Ziegenbock meckerte. Der Hund zerrte an der Kette, kläffte hinter ihr her.
    Sie packte Susanna, riss ihr die Pferdedecke von den Schultern und schlug ihr ins Gesicht. Dann zerrte sie die beiden Mädchen weg von Brücke, Bach und Kinderschar – Anna am Ohr, Susanna an den Haaren.
    »Das sind Bauerntölpel!«, zischte sie. »Rotznasen! Noch dazu Papisten! Mit denen spielt ihr nicht mehr.«

2
    E ine Daumenbreite weit schob David den Vorhang zur Seite. Jedes Mal kurz vor seinem Auftritt tat er das. Auf der Bühne geschah, was zu Beginn einer Vorstellung immer geschah: Der Affe sprang zeternd um Stephan herum, Stephan fuchtelte mit dem Degen, schnippte mit den Fingern, pfiff wie eine Nachtigall, und die Hunde schlugen Salto und schnappten dabei nach den Knochen, die ihnen die Zwergin mit den Zehen ihres rechten Fußes zuwarf.
    An der linken Bühnenseite hockte der Rote Milan auf der Sitzstange und spähte in das Publikum. An der rechten Bühnenseite tänzelte der Rabe vor dem offenen Käfig des alten Uhus hin und her, verspottete ihn krähend und wich jedes Mal zurück, wenn der Stärkere, aber Angekettete fauchte und zum nächsten vergeblichen Versuch ansetzte, von seiner Stange zur Käfigtür zu hüpfen.
    Stephan trug das prachtvolle Gewand eines venezianischen Edelmannes und nannte sich »Pantalon«, solange er darin das Geschehen auf der Bühne beherrschte. Die Figur des eleganten Herrn hatte er sich bei italienischen Komödianten abgeschaut.
    Alles wie immer. Und die Leute von Köln?
    Der Hof hinter dem Gasthaus Zur Welschenklause am Heumarkt war zu mehr als zwei Dritteln gefüllt. Sehr gut – falls sie alle gezahlt hatten. Der Rat hatte gestattet, zwei Albus zu nehmen, das waren immerhin vierundzwanzig Heller.
    Ein Mann unter all den Schustern, Webern, Schmieden und Rheinschiffern fiel David gleich auf. Ein Edler: kleine, gefaltete Halskröse, blauer Seidenrock, ein spitzer, rötlicher Kinnbart und langes, weit über die Schultern fallendes rotblondes Haar.
    Edel auch sein Gesicht: weiß, schmale Lippen, kantige Nasewie ein Greifenschnabel, tiefliegende Augen und ein spöttisches Lächeln in allen Winkeln. Täuschte David sich, oder waren die Lippen röter als bei einem Mann üblich? Wahrscheinlich ein Franzos. Oder ein Engländer? Hoffentlich kein Ratsherr der Stadt Köln, der prüfen wollte, ob die losen Schausteller auch treulich alle Auflagen erfüllten. Nein, ein Ratsherr von Köln würde kaum seine Lippen rot färben.
    Der Mann neben dem Edelspitzbart, der massige Kerl mit dem fassartigen Brustkorb, den traurigen Augen und dem Kindergesicht, der gehörte weiß Gott nicht zum ehrwürdigen Rat der Stadt Köln. Rübelrap stammte aus einem Weiler am Züricher See und war einer von ihnen; gehörte zur »Compagnie«, wie Stephan seine Truppe nach Franzosenart nannte.
    Auf der Bühne zündete der Directeur de la Compagnie nun einen Holzreifen an, den er an einem von zwei Griffstäben festhielt; nach dem anderen langte der Affe. Stephan fuchtelte mit dem Degen, kommandierte auf Französisch und pfiff wie eine Nachtigall, bis der Englische Hund – ein riesiger, schwarzer Kerl – über den Feuerreif hinwegsetzte. Der Dachshund sprang mitten hindurch.
    Die Leute auf dem Hinterhof klatschten. Der Edelspitzbart nicht – der verschränkte nur die Arme vor der Brust und schaute spöttisch drein. Rübelrap, der massige Hüne, schob sich schon weg von ihm, pirschte
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