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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Ziebula
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jeden Alters, und alle beobachteten sie – die meisten neugierig, einige begriffsstutzig, manche spöttisch. Und eigentlich ging sie nur auf ihn zu, auf Hannes. Sie kannte ihn schon immer – seit Jahren kam sie mit dem Vater in sein Dorf herauf –, und doch war es ihr, als sähe sie ihn heute zum ersten Mal.
    Die Erwachsenen, einen Steinwurf entfernt, saßen auf Bänken um zwei leere Fässer. Über die hatte Hannes’ Vater eine Holzdiele gelegt und so einen Tisch geschaffen. Die Männer besprachen ihren Handel. Es ging um Färber-Ginster. Vielleicht auch um Obstbrand. Susanna erinnerte sich später nicht mehr genau.
    Sie erinnerte sich aber an den Duft der Herbstwiesen. An vielen Bäumen lehnten noch Leitern, und zwischen ihnen standen da und dort Körbe voller Äpfel und Birnen. Auch an das Geblöke der Schafe erinnerte sie sich und an die grobe graue Decke, die sie sich um die Schulter gelegt hatte. Doch es war stets das blaue Lichterpaar auf der anderen Seite des Baches, das ihr als Erstes ins Gedächtnis kam, wenn sie zurückdachte.
    Für Susanna war es keine grob gewebte graue Pferdedecke, die sie damals trug: Es war ein kostbares Kleid aus weißer Seide, mit Schleier und schwerer Schleppe; vier Mädchen brauchte es ja, um diese zu tragen. Und natürlich schritt sie auch über keineBrücke, sondern durch das Mittelschiff der Heilig-Geist-Kirche auf den Altar zu. In diesen unvergesslichen Augenblicken war sie eine Prinzessin und hieß Elisabeth Stuart. Ihr war sehr feierlich zumute.
    Und den anderen? Das wusste sie nicht, und das kümmerte sie auch nicht. Es kümmerte sie nicht einmal, dass der Kurfürst und die Prinzessin nicht in der Pfalz, sondern wahrscheinlich in irgendeiner Kathedrale Londons heiraten würden. London? Ein fremder Ort, unerreichbar. Also stellte sie sich die schönste Stadt vor, die sie kannte, Heidelberg, und die schönste Kirche, die sie bisher gesehen hatte: die Heilig-Geist-Kirche zu Heidelberg.
    Nun hatte Susanna die andere Seite des Baches erreicht. »Ich brauche einen Bräutigam.« Ihr Blick fiel auf ihn, fiel in seine hellblauen Augen. »Du.« Sie deutete auf Hannes. »Du bist mein Kurfürst.«
    Plötzlich spürte sie, dass man sie vom Tisch der Erwachsenen aus beobachtete. Ihre Mutter sah herüber; zum ersten Mal hatte diese das Dorf oberhalb der Bergstraße betreten – widerwillig; denn es war der Vater gewesen, der darauf bestanden hatte, dass sie endlich die Bauersleute kennenlernte, die den Färber-Ginster lieferten, mit denen die Verwandtschaft in Heidelberg seit Jahren Wolle und Leinen gelb färbte.
    Die Bäuerin stellte Becher auf die Tischdiele und schenkte Wein aus – näherte der Handel sich schon seinem Abschluss? –, und nun sah auch der Vater zu Susanna herüber. Die Eltern bewegten die Lippen, sprachen über sie. Über wen sonst?
    Susanna glaubte zu hören, was sie redeten. Mutter seufzte und sagte: »Deine Susanna stolpert mal wieder durch irgendein Traumland.« Und Vater lächelte und antwortete: »Lass sie doch.«
    So ging das oft.
    Damals fragten sie noch nicht, ob einer es mit den Protestanten hielt oder mit den Katholischen, den »Papisten«; damals wussten sie noch nichts vom Krieg. Und ja: Damals waren sie noch Kinder.
    »Das geht nicht.« Hannes schüttelte den Kopf. Er war trotzig, immer schon.
    »Wie soll ich ohne Bräutigam heiraten?« Sie streckte den Arm nach ihm aus. »Komm schon zu mir.«
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf heftiger. So trotzig. So stur. Die anderen beobachteten ihn, neugierig, kichernd, gespannt.
    Er war der Zweitälteste unter den Kindern, ein hellhäutiger, hoch aufgeschossener Junge von höchstens elf Jahren. Sein älterer Bruder Moritz hielt sich fern von der Kinderschar, er machte sich an einem Wagen vor der Scheune zu schaffen.
    »Der Fürst muss doch die Prinzessin wählen«, behauptete Hannes. »Nicht die Prinzessin den Fürsten.«
    »Jetzt komm endlich, sei mein Friedrich.«
    »Nein. Entweder der Kurfürst hat die Wahl, oder ich spiele nicht mit.« Hannes zuckte gleichmütig mit den knochigen Schultern. »Bin ich nicht zu dir nach London gekommen? Bin ich nicht vor deinen Vater getreten, um ihn um deine Hand zu bitten?«
    »Viel zu leise hast du gesprochen!« Ungeduld packte Susanna. Dass er in seiner Antwort schon ganz in ihr Spiel eintauchte, wurde ihr kaum bewusst. »Noch dazu in schlechtem Französisch!« Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. »Mein Vater hat dich nicht mal ausreden lassen! Jetzt komm
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