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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Ziebula
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Wind – mit den Lutherischen mussten auch gleich die wenigen Juden im Tal alte Rechnungen zahlen. »Hier?« Stephan schüttelte den Kopf. »Nix gesehen.« Er zuckte mit den Schultern »Vielleicht bei der Weide vorn, da hat’s geraschelt.« In aller Ruhe schnitt er den Haselnusszweig ab. »Kann aber auch Viehzeug gewesen sein, weiß ich’s?«
    Der mit der Armbrust winkte und stapfte Richtung Weide davon, die Bauern hinterher. Böses, lüsternes Pack! Der Bärenmann wartete, bis sie jenseits der Weide beim Wasserfall verschwanden. »Aufstehen, Cura«, raunte er dann. »Wir haben es nun sehr eilig.«
    Bei seiner Landgräfin später gab’s Tritte und Hiebe, als sie das immer noch schlafende Kind sah; und ein Gott-sei-gepriesen und einen Kuss, als Stephan die Golddukaten aus dem Ledersäckchen schüttete. So war sie eben, die Landgräfin Marianne zur Wagenburg.
    Sie fanden ein Pergament um das Handgelenk des Knaben gebunden. Darauf stand sein Name geschrieben: David Villacher . Seine Mutter, so hörten sie Wochen später, fand man im Steinbruch. Die Jüdin hatte sich dort zu Tode gestürzt. Um Schlimmerem zu entgehen. Und der Adonai hat ihr nicht geholfen. Armes Weib.
    Stephan zündete ihr eine Kerze an, in der Pfarrkirche von Spittal.
    Im Frühling darauf zogen sie nach Norden; auf zwei Wagen,mit drei Hunden, einem Uhu, einem Kolkraben, sechs Pferden und dem Knaben. Zuerst ins Erzbistum Salzburg, danach ins Herzogtum Bayern, danach weiter dem Rhein entgegen und hinauf bis zum Main. Den Knaben gaben sie als ihren Sohn aus.
    So beginnt die Geschichte des Gauklers David Unterkofler. Und ohne sie ist die Geschichte des Mädchens Susanna Almut nicht denkbar, das ein Jahr später in der Gegend von Heidelberg zur Welt kam; ungefähr um die Zeit, als der Bärenmann auf den Märkten der rheinischen Kurpfalz Zähne brach. Und beider Geschichten wären andere geworden ohne die Geschichte des Kriegsmannes Hannes Stein, den seine Mutter in einem noch friedlichen Odenwald-Weiler oberhalb von Handschuhsheim und Heidelberg gebar, als im Drautal und am Millstätter See der Landeshauptmann schon mit Feuer und Schwert gegen die Lutherischen wütete.

E RSTES B UCH
    Von der Flüchtigkeit
des Friedens
    ___
    O KTOBER 1612 BIS J ULI 1622

1
    A n einem Herbsttag des Jahres 1612 hörte Susanna zum ersten Mal bewusst das Wort »Papisten«. Später musste sie oft daran denken, wegen dieses einen Wortes und wegen des Jungen auf der anderen Seite des Baches. Seine Augen waren hellblaue Lichter, blond und dürr ragte er auf zwischen allen. Hannes. Seltsam, wie von Anfang an etwas zwischen ihnen strömte.
    Susanna erklärte den Mädchen, wie sie die Schleppe zu halten hatten: zwei rechts und links an den langen Säumen, zwei hinten an den Zipfeln. Und nicht herumkichern, es ist schließlich Hochzeit unserer gnädigsten Herrschaft, Ihrer Durchlaucht, des Kurfürsten Friedrich. Festlich geht es zu, ernste Gesichter muss man machen.
    Sie wandte sich nach Bachlauf und Brücke um, fasste die anderen am jenseitigen Ufer ins Auge und setzte dann einen Fuß vor den anderen – würdevoll, feierlich, stolz. Und wieder sah sie das blaue Lichterpaar unter blonder Stirn, und wieder strömte es: ein warmes Unsichtbares, ein heimliches Lachen, das nicht in die Gesichtszüge fand, das man aber spürte, wenn die Blicke sich trafen.
    Das Leben fühlte sich damals noch leicht an. Wie ein Spiel – und Susanna spielte gern. An jenem Tag spielte sie Hochzeit, auf einem Bauernhof, irgendwo am Rand des Dorfes.
    Auf der Wiese, hinter ihr und den Schleppenträgerinnen, standen Apfel- und Birnenbäume ohne Zahl. Taubnesseln und der letzte Rotklee blühten, und zwischen den Bäumen weideten Schafe. Am Hang, auf der anderen Seite des Dorfes, erstreckte sich ein Weingarten zwischen Bachlauf und Wald. Im Hof scharrten Hühner, ein Schwein suhlte sich im Schlamm neben dem Misthaufen, Katzen dösten, und der Kettenhund beäugte zankende Ziegenböcke.
    Stallung, Scheune und Werkstatt kauerten am windschiefen Bauernhaus. Als hätte der Allmächtige es am sechsten Schöpfungstag zusammen mit Adam und Eva geschaffen, so alt sah das Hüttennest aus.
    Ein paar Jahre noch, dann würde es sie nicht mehr geben, diese alten Hütten, diese morsche Bachbrücke zwischen fetten Obstwiesen, diesen lieben Hof.
    Die Brücke schwankte und knarrte, als Susanna und die vier Mädchen hinter ihr den Bach überquerten und den anderen in feierlicher Pose entgegenschritten. Fast ein Dutzend Kinder
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