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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos
Autoren: Thomas Finn
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ein, nein, nein!« Gerresheimer raufte sich den Bart, trat an Tobias’ Seite und bedeutete ihm innezuhalten. Er nahm dem Studenten den Degen aus der Hand und stellte sich selbst auf die lange Matte, die die Fechthalle von einem Ende bis zum anderen durchmaß.
    Tobias verdrehte unter seiner Drahtmaske die Augen. Schließlich streifte er den Kopfschutz ab und schüttelte seine schulterlangen blonden Haare, während sein Lehrer die Grundposition einnahm.
    »Ich sagte Passata sotto. Und das bedeutet Ausfall vorwärts. Was du gemacht hast, war die ungelenke Andeutung einer Patinando. Höflich formuliert. In Wahrheit sah es aus, als wärst du auf Schmierseife ausgerutscht.«
    Gerresheimer winkte Tobias zur Seite und wiederholte noch einmal den Bewegungsablauf. Gebannt sah dieser den grazilen Schrittfolgen, den blitzschnellen Attacken und den virtuos ausgeführten Paraden seines Fechtlehrers zu. Für seine fünfzig Jahre wirkte Gerresheimer noch immer erstaunlich beweglich. Fast nahm der imaginäre Gegner Gestalt an, den der Alte Stück für Stück in die Defensive zwang.
    Als Gerresheimer das Ende der Matte erreicht hatte, verharrte er in der Bewegung und wandte sich mit erhobenem Degen Tobias zu.
    »Am besten stellst du dir vor, dass du keinen Teflonanzug und auch keine Maske trägst. Und dann denk dir einfach, der Degen hier sei echt. In früheren Zeiten brauchtest du keine fünf Treffer, um den Sieg davonzutragen, du brauchtest nur einen einzigen. Und dieser eine Treffer musste tödlich sein!«
    Tobias runzelte die Stirn. Gerresheimer war sicher der beste Fechtlehrer Hamburgs. Es wäre ganz gewiss sein Verdienst, würde Tobias am Wochenende die Hamburger Landesmeisterschaft gewinnen. Aber nicht zum ersten Mal, seit ihn Gerresheimer unter die Fittiche genommen hatte, hatte er das Gefühl, sein Lehrer nehme den Sport vielleicht eine Spur zu ernst.
    »Du musst dich mehr konzentrieren«, beschwor ihn dieser, während er wieder zu ihm zurückkam. »Wenn du dich zum Kampf stellst, sollen alle deine Sinne deinem Gegner gelten. Du musst alles ausklammern, was dich ablenkt. Keine Klausuren, keine Filme und vor allem«, Gerresheimer zögerte, »keine Ex-Freundinnen.«
    Tobias fühlte sich ertappt. Es war kein Geheimnis, dass am Wochenende auch Katja bei den Meisterschaften antreten würde. Zwei Jahre waren sie ein Herz und eine Seele gewesen, bis sie vor einem Monat mit ihm Schluss gemacht hatte. Kennen gelernt hatten sie sich gar nicht mal beim Fechten, ihrer gemeinsamen Leidenschaft, sondern bei einer Vorlesung an der Uni. Auch sie studierte Medizin. Tobias hatte sich sogar schon vorstellen können, eines Tages mit ihr zusammenzuziehen. Ehrlich gesagt hatte er sich das sogar sehnlich gewünscht, schließlich war ihm so etwas wie eine eigene Familie bislang versagt geblieben. Doch das Schicksal wollte ihm dieses Glück offenbar nicht gönnen.
    »Ich denke überhaupt nicht an Katja«, log er und zog sich verärgert die Handschuhe aus. Katjas spießige Eltern waren ohnehin nicht gerade froh über ihn gewesen. Jemand, der seine Kindheit im Waisenhaus statt in geordneten Familienverhältnissen verbracht hatte, war eben nicht gut genug für ihre Tochter. Nun, jetzt hatten sie, was sie wollten …
    »Aber Rainer, dieses Arschloch, würde ich schon gern auf die Matte schicken. Kann ja wohl nicht so schlimm sein, wenn ich mich damit fürs Wochenende motiviere.«
    »Solange dir klar ist, dass du Katja so nicht wiedergewinnst«, seufzte Gerresheimer und nahm Tobias Handschuhe und Maske ab. Plötzlich deklamierte er: »Kannst du nicht mehr Geliebte sein, sei Freundin mir sodann; hat man die Liebe durchgeliebt, fangt man die Freundschaft an.«
    Gerresheimer lächelte schmal. »Ist nicht von mir. Das hat Heinrich Heine gedichtet. Vor langer Zeit. Ein kluger Mann.«
    Sein Fechtmeister hatte leicht reden. Freundschaft mit Katja? Tobias hätte nicht gewusst, wie. Und was Rainer betraf, Arschloch blieb Arschloch. Soviel stand fest. Erst einen auf bester Freund machen und ihm dann die Freundin ausspannen. Irgendwann musste Katja doch erkennen, welchen Aufschneider sie sich da angelacht hatte.
    Gereizt deutete Tobias auf seine Armbanduhr. »Ich muss los. Hab noch ’ne Anatomievorlesung.«
    Er wollte sich schon abwenden, als er die Hand seines Lehrers auf der Schulter spürte. »Tut mir leid, falls ich zu weit gegangen bin. Ich weiß, das klingt blöd, aber glaube mir: Andere Mütter haben auch hübsche Töchter. Du wirst schon bald wissen, wovon
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