Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos
Autoren: Thomas Finn
Vom Netzwerk:
seine Zweifel verflogen. Jemand hatte dem Unglücklichen die Schädelplatte aufgesägt. Das Gehirn lag offen vor ihm.
    »Düwel ok! Wer macht so wat?«
    Der dicke Borchert war überraschend lautlos an seine Seite getreten.
    »Ich weiß es nicht. Noch nicht!« antwortete der Polizeiaktuar und ließ den Körper wieder auf die Ladefläche sinken. »Wir wissen bis jetzt nur, dass er allen seinen Opfern bei lebendigem Leib den Kopf aufsägt.«
    »Und … woher wissen Sie dat?« presste der Uhle bestürzt hervor. »Ik meen, dat sie noch lebten, als, ja nu, Sie wissen schon, wat ik meen …«
    »Zwei der anderen hatten noch einen Knebel im Mund, als wir sie fanden. Außerdem braucht man einen Toten nicht zu fesseln, um ihm den Kopf aufzusagen.« Kettenburg deutete auf die Stricke an den Beinen und hob dann den gebrochenen Arm der Leiche an. Deutlich zeichneten sich auch hier Striemen ab. Borchert keuchte und trat einen Schritt zurück.
    »Allzu weit entfernt von hier kann sich das Drama nicht abgespielt haben«, fuhr der Polizeiaktuar mit gepresster Stimme fort. »Zumindest können wir mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass der Arme innerhalb der Stadtwalle zu Tode gekommen ist.«
    »Un woher wissen Sie dat nu schon wieder?«
    »Die Torsperre, Borchert. Die Stadttore wurden bereits vor sechs Stunden geschlossen. Jeder, der hindurch will, wird kontrolliert. Den Torschreibern wäre aufgefallen, wenn man versucht hätte, einen Toten von außerhalb nach Hamburg zu schaffen.«
    »Un wenn der Kerl früher in de Stadt schafft ward?«
    »Nein, die Leichenstarre hat noch nicht eingesetzt. Unser Freund hier ist allenfalls vor zwei oder drei Stunden aus dem Leben geschieden.«
    »Auf jeen Fall war der Mörder een Fachmann«, murmelte der dicke Wacher.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Deswegen!« Der Uhle deutete auf eine Verletzung im Rücken des Toten. »So ’ne Wunde schlägt een Slachterhooken.« Hastig ergänzte er: »Mien Schwager is Slachtermeester, müssen Sie wissen.«
    »Sehr gut, Borchert. Sehr gut! Frage mich wirklich, ob du im Polizeidienst nicht besser aufgehoben wärst.« Anerkennend klopfte Kettenburg dem Dicken auf die Schulter. Der nahm stolz Haltung an. »Und jetzt hol die anderen. Wir brauchen Licht. Viel Licht. Außerdem müssen wir nach Zeugen Ausschau halten. Vielleicht führt uns das auf die Spur des Mörders.«
    »Een Sach sollten Sie sich aber noch ansehn.« Borchert nahm dem Polizeiaktuar die Laterne ab und führte ihn am Leiterwagen vorbei zum Fleet. Die Fluten des Kanals stanken erbärmlich, aber Kettenburg war wegen des starken Blutgeruchs fast froh darum. Der Wacher senkte die Leuchte und deutete nach unten. Aus dem Wasser ragten die metallenen Kufen eines großen … Schlittens? Kettenburg riss verblüfft die Augen auf. Sogar eine Art Sitz glaubte er zu erkennen.
    Aber das war unsinnig. Niemand benötigte zu dieser Jahreszeit einen Schlitten. Vor allem keinen aus Metall. Leider lag der größte Teil des merkwürdigen Gefährts unterhalb der Wasserlinie.
    »Was auch immer das ist, wir werden es bergen. Ich will, dass das noch vor dem Morgengrauen geschieht. Und zwar möglichst ohne Aufsehen.«
    »Wie Sie wünschen, Herr Polizeiaktuar. Ik heff da übrigens noch wat funnen.« Der dicke Wacher raufte sich verlegen den Bart und lüpfte die Schirmmütze. »Ik heff fürhin in der Aufregung nich dran dücht, es dem Herrn Corporal to zeigen …«
    Borchert wühlte in den Taschen seines Mantels und hielt dem Polizeiaktuar ein schwarzes Armband hin, in dessen Mitte ein flaches, sechseckiges Gehäuse eingebettet war. »Ik heff dat nur funden, weil dat son Geräusch mokt hat.«
    »Was hat es?«
    »Es hett een paar Mal quiekt. Jo nu, so äänlich jeenfalls.«
    Kettenburg wog den Fund prüfend in der Hand. Das Material war ungewöhnlich biegsam und leicht. Überrascht zuckte er zurück. Das Gehäuse wurde von einem Glasdeckel geziert, unter dem es blinkte. Ziffern. Das waren Ziffern.
    »Herrgott, was ist das?«
    »Weet ik nich genau«, brummte Borchert. »Ik heff dor aber so een Idee.«
    Kettenburg, der gar keine Antwort erwartet hatte, sah überrascht auf.
    »Diese Ziffern, ja nu, sie verännern sich allerweil. Sehen Sie doch. Nu. Und nu. Und nu wedder … Erinnert Sie dat nicht an wat?«
    Kettenburg runzelte die Stirn und schaute verblüfft auf. »Du hast recht, Borchert. Sekunde für Sekunde. Das wirkt auf mich … wie eine Uhr!«

 

Schatten der Vergangenheit
     
    Hamburg 2006, 16. Dezember,
    9.17 Uhr
     
    N
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher