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Der Fürst der Skorpione

Der Fürst der Skorpione

Titel: Der Fürst der Skorpione
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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winzigen Tisch im Flur, die Björn eigentlich schon hatte wegwerfen wollen, zusammen mit dem Tisch. Beides war so überflüssig und nahm nur Platz weg in einem Flur, der sowieso schon zu klein war. Es war das Muster der Vase: blaue Blumen auf weißem Grund, ausgeführt als Strichzeichnung. Er wollte die Vase dann wirklich wegwerfen, hielt sie schon in der Hand, um sie in den Müll zu tun, da dachte er plötzlich: Halt, sie ist so hübsch! Genau in diesem Moment erinnerte er sich an alles. Seine Tochter hatte Irina geheißen. Sie war sieben Jahre alt geworden. Die Vase erinnerte ihn an Irina, weil sie als Sechsjährige eine solche Vase gestohlen und seiner Frau zum Geschenk gemacht hatte. Irina war ein schwieriges Kind gewesen. Björn und seine Frau hatten wegen Diebstahls die Jugendkommission im Haus gehabt, die prüfen wollte, ob die Familie in Ordnung war. Björn und Kathrin waren daraufhin ermahnt worden, sie sollten sich besser um die Werteorientierung ihrer Tochter kümmern. Auch die Lehrerin in der ersten Klasse hatte oft von Irinas mangelnder Werteorientierung gesprochen. Irina war ein Problemfall gewesen. Im Alter von sieben Jahren war sie an Heufieber gestorben. Kathrin hatte Björn danach verlassen, ihrer Ansicht nach war er schuld, weil er an jenem verhängnisvollen Tag vergessen hatte, Irina die Medikamente zu geben. Kurz danach war er nach Grönland geschickt worden. Dort hatte er mit seinen Kameraden Thule Airbase vom Feind freigekämpft. Die Vase in der Hand, erinnerte er sich an alles, er erinnerte sich genau, und er war ganz befremdet über sich selbst, weil er auf einmal weinen musste.
    Nach dem Vorfall mit dem Papierchen entdeckte Tabea etwas Seltsames an sich selbst. Eigentlich hätte sie sich vor Björn fürchten sollen, und das Gesicht, das er ihr in der Küche gezeigt hatte, wollte sie auch nie wieder sehen. Dennoch stellte sie fest, dass sie sich an Björn gewöhnt hatte. Sie wusste nicht, ob es reines Mitgefühl war, aber sie lernte mehr und mehr seine beschissene Armbinde hassen. Sie ging nicht gern mit ihm nach draußen, wo er sie immer tragen musste. Was sollte sie überhaupt bedeuten? »Hallo, hier kommt ein Wiedererweckter?«, »Vorsicht, Zombie?« Die Armbinde hatte weiße Ränder und war in der Mitte grün. Wahrscheinlich das Grün von diesem Grünen Buch, das sich in seinem Kopf drehte wie ein Kreisel. Klar, in der Schule hatten sie das Thema »Wiedererweckte und ihre Kultur« durchgenommen. Natürlich war es auch um das Buch, das Heilige Kind, die Armbinde und den ganzen anderen Scheiß gegangen. Die Armbinde, so erklärte man ihnen, war angeblich genauso gedacht wie die Dinger, die früher von Blinden getragen worden waren. Blinde gab es nicht mehr, seit man alle Arten von Blindheit heilen konnte. Aber Zombies gab es jede Menge. Und sie trugen die weißgrünen Armbinden angeblich, damit die Leute Rücksicht auf sie nehmen konnten. Wann immer jetzt davon die Rede war, dachte Tabea: Dass ich nicht lache! Die Sache mit der Ambulanz machte sie noch wütender. Es war an einem gewöhnlichen Dienstag. Als sie vom Volleyball nach Hause kam, stand er im Flur. Völlig bewegungslos. Sah aus wie eine Statue. Die Augen standen offen und blinzelten nicht. Tabea wusste nicht, was sie machen sollte. Sie dachte, er sei im Stehen gestorben, nicht seine Art von Tod, die, die er schon kannte, sondern die endgültige. So sah es aus. Trotz ihres Ekels ging sie zu ihm hin und berührte ihn, weil sie wissen wollte, ob er kalt und starr war. Er war starr, aber nicht kalt. Seine offenen Augen machten sie ganz verrückt. Weil sie nicht weiterwusste, rief sie die Ambulanz. So was machte kaum keiner. Meistens kam sie nämlich nicht, und wenn, dann viel zu spät. Tabea versuchte es trotzdem, und schickte der Ambulanz ein Intro. Sie hatte gleich Kontakt, was auch nicht immer klappte. Nach einer halben Stunde waren die Sanitäter da. Laut ihrer Aussage hatte Björn nichts Schlimmes, war nur »im Block«, wie sie sich ausdrückten. Das komme manchmal bei Wiedererweckten vor. Die Sanitäter entblockten Björn dann mit einem Injektor. Tabea hatte gerade noch genug Geld in ihrem Daumen, um die Gebühr zu bezahlen. Später konnte Björn sich an nichts erinnern. Aber Tabea vermochte nicht zu vergessen, wie die beiden Ambulanztypen mit ihm umgesprungen waren. Wie mit einem Stück Holz.
    Zur selben Zeit begannen ihr die wöchentlichen Gespräche mit dem Berater auf die Nerven zu gehen. Immer wieder wollte er wissen, wie
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