Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der fremde Pharao

Der fremde Pharao

Titel: Der fremde Pharao
Autoren: Pauline Gedge
Vom Netzwerk:
nachdenken oder grübeln oder einfach den Blick auf Fluss und Feldern ruhen lassen, auf seinem Anwesen oder auf der weit auseinander gezogenen Stadt Waset, die sich ans Flussufer schmiegte und sich um zwei Tempel herumzog. Während der schläfrigen Nachmittage, wenn seine Frau ruhte oder mit ihren Dienerinnen plauderte und die Kinder mit ihrer Leibwache zum Schwimmen an den Fluss gegangen waren, stahl er sich oft davon, überquerte den weiträumigen, stillen Hof dieses baufälligen Hauses einstiger Götter und betrat die dämmrigen leeren Räume. Von seinen Vorfahren waren nur wenige greifbare Erinnerungen zurückgeblieben. Hier leuchtete ein Fleck gelber Farbe an einem Pfeiler auf, dort erschreckten das krasse Schwarzweiß eines Wadjet-Auges und eine unleserliche Kartusche noch immer die unbehausten Schatten, doch durch die Säle und Flure, die privaten Schlafgemächer und den riesigen Empfangssaal mit seinen düsteren Säulen fegte der Wind, und sie hallten, als er hindurchging.
    Das Gebäude wurde immer gefährlicher. Die Ziegelsteine, aus denen es erbaut worden war, bröckelten. Ganze Wände waren nur noch Schutthaufen. Decken waren eingestürzt und ließen Lichtstrahlen durch, deren Helligkeit ihm schlechthin wie eine Gotteslästerung vorkam. Bisweilen ging er in den großen Audienzsaal, auf dessen Estrade der Horusthron gestanden hatte, und lauschte der Stille, sah zu, wie die viereckigen Lichtflecken, die durch die hoch angebrachten Fenster fielen, unmerklich über den Fußboden wanderten, doch lange hielt er diese Atmosphäre feierlicher Traurigkeit nicht aus.
    Heute hatte er sich nicht hierher zurückgezogen, weil er auf irgendeinem Verwaltungsproblem herumbrüten oder in Ruhe und ungestört nachdenken wollte. Als Fürst von Waset und Gouverneur von fünf Nomarchen war er ein viel beschäftigter Mann mit einer überschaubaren und geregelten Arbeit, doch er wusste seit langem die wenigen Stunden zu schätzen, die er allein und hier oben verbringen konnte, wo die Ärgernisse und Verpflichtungen seiner Stellung und seiner Familie durch den Zauber des vor ihm ausgebreiteten Panoramas wieder auf ihr richtiges Maß schrumpften. Es war Frühling. Schwerfällig und kraftvoll strömte der Nil dahin, an seinen Ufern ein Dickicht wirrer grüner Binsen und fedriger Papyruswedel, die in der lieblichen Brise nickten. Jenseits des Flusses verschwammen die westlichen Felsen graubraun und trocken vor einem klaren, blauen Himmel. Ein paar kleine Boote dümpelten ziellos mit kahlen Masten, störten die Enten und gelegentlich auch einen Reiher, der weiß und bedächtig aus den Sümpfen aufstieg.
    Seqenenres Blick wanderte nach Norden. Dort machte der Fluss eine Biegung und war nicht mehr zu sehen, doch auf dem östlichen Ufer, seinem Ufer, lagen die schwarzen Felder, waren kreuzweise von palmengesäumten Bewässerungskanälen durchzogen, nass und fahlfarben und noch zu aufgeweicht, als dass die Bauern, die schon bald das Korn aussäen würden, sie feststampfen konnten.
    Nahebei, gleich hinter der zusammengefallenen Mauer, die den Palast einst umgeben hatte, kauerten seine Diener mit nackten braunen, glänzenden Rücken und bepflanzten den Gemüsegarten. Er konnte ihre Stimmen bei der Arbeit hören, ein auf-und abschwellendes, jedoch angenehmes Gemurmel. Auch das Dach seines Hauses konnte er deutlich unter sich sehen. Polster und verstreute Leinentücher bildeten hier und da einen bunten Fleck zwischen den Ästen der schützenden Sykomoren und Akazien, die seinem Garten Schatten spendeten. Weiter entfernt sah er vorn an den Pylonen von Amuns Tempel Fahnen flattern und hinter dem heiligen Bezirk eine Ecke von Montus Schrein, die sich wie eine braune Messerklinge in den nahen Horizont schob.
    Seqenenre merkte, dass seine Anspannung nachließ. Die Überschwemmung war reichlich ausgefallen, hatte dem Land das Nötige, nämlich Wasser und Schlick, gespendet, und falls keine Krankheit das Korn befiel und es gesund und kräftig heranwuchs, konnte man auch mit einer gleichermaßen reichlichen Ernte rechnen. Noch war es zu früh, als dass Nachricht vom Aufseher seines Weingartens im westlichen Delta hätte kommen können, doch er ging davon aus, dass seine Trauben dieses Jahr schwer und voll an den Rebstöcken hängen würden. Die Trauben im Laubengang, der einen Teil des Wegs von seiner Bootstreppe zum Haus beschattete, wurden immer für Saft genommen, nicht für Wein. Mein Vieh hat keine Krankheiten, und meine Leute werden satt sein,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher