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Der fremde Pharao

Der fremde Pharao

Titel: Der fremde Pharao
Autoren: Pauline Gedge
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Fliesen des Fußbodens verteilt hatten.
    Er hatte vorgehabt, schnurstracks zu der Treppe zu gehen, die zum Dach über den Frauengemächern führte, doch seine Füße schienen ihm nicht zu gehorchen, und so wanderte er die riesigen, verfallenen Räume ab, in denen seine Lampe unter dem Gewicht der Stille und der hohen Räume nur noch einen schwachen Schein warf. Hier und da sprang ihn ein Überbleibsel des Lebens an: Der gehässige Blick eines Wadjet-Auges, das ihn feindselig anstarrte, ehe es wieder im Dunkel verschwand, während er ruhig weiterging, ein Tupfer Mattgelb, der einzige Rest einer gemalten Szene aus glücklicheren Tagen, das sitzende Abbild eines Gottes oder Königs, der aus seinem Winkel hervorzutreten schien, als ob es Zeit zum Aufstehen wäre, während seine heiteren Züge ungerührt den reglosen Verfall ringsum betrachteten. Kamose hatte das ungute Gefühl, wenn er ihn anspräche, würde er antworten, doch dann würde er einen Sturm entfesseln, der hier, in diesem heiligen Haus seiner Ahnen, im Schlaf gelegen hatte. Er schüttelte den Kopf über seine albernen Gedanken, hütete sich aber, ein Geräusch zu machen, bis er den Ort verlassen hatte.
    Man hatte ihm nie erlaubt, im alten Palast zu spielen. Seqenenre hatte es verboten, weil es zu gefährlich war, und als Kamose größer wurde, hatte er wenig Lust verspürt, seine Geheimnisse zu erforschen. Er war kahl und kalt, ein Ort mit bröckelndem Mauerwerk, eine Behausung für Fledermäuse und Nagetiere. Doch als er jetzt selbst wie ein Gespenst durch Räume geisterte, die wiederum in Räume übergingen, durch Flure, die auf türlose, schwarze Abgründe oder geborstene Terrassen oder eine weitere Abfolge leerer, halb zerstörter Gemächer gingen, da merkte er, dass die größte Gefahr nicht von losen Fliesen oder eingefallenen Wänden drohte. Mit geschärften Sinnen schien er jedes flüchtige Wispern, jedes leise Lachen oder Aufblitzen juwelenbesetzten Leinens gerade jenseits seines Gesichtsfelds wahrzunehmen. Die wahre Gefahr war nicht so direkt, sondern verführerischer, eine lockende Stimme, die von vergangenem Ruhm sprach und die Seqenenre zusammen mit Apophis’ ständigen Sticheleien zu dem Aufstand verleitet hatte, der ihn zum Krüppel gemacht und gebrochen ins Grab gebracht hatte. Kamose spürte den Rausch am eigenen Leib, der sich wie ein sanfter, belebender Trank durch seine Adern stahl, das Versprechen auf Reinigung, Wiederherstellung, Zurückgabe. Es war keine Falle. Die Sache war gerecht, sie war richtig. Der Palast barg keinen bösen Zauber. Sein Zauber sprach von Maat, der Maat eines vergangenen Ägyptens, eines Ägyptens, von dem sich die Vorfahren, die unsichtbar an diesem Ort weilten, erhofften, dass er es wieder belebte.
    Endlich fand Kamose den Thronsaal und die Estrade, auf der einst der Horusthron gestanden hatte, dieser heilige Sitz, an dessen Lehne aus Gold und Elektrum sich jetzt das Rückgrat eines Thronräubers lehnte. Er drehte sich um und blickte in die dämmrige Weite des Raums mit den Säulen. »Hört mich an, alle miteinander«, sagte er leise. »Ich schwöre, dass ich, so Amun will, als Sieger heimkehre und den Heiligen Thron wieder auf diese Estrade stelle und den Palast erneuere, damit Ägyptens Ruhm hier noch einmal eine Wohnstatt findet. Ich schwöre es!« Das Echo erwachte und warf das Gemurmel zurück, wehte jedoch auch einen langen Seufzer heran, und die Flamme seiner Lampe flackerte jäh, so als ob sie ein Luftzug getroffen hätte. Er beherrschte seinen Drang zu fliehen und ging langsam zu den Frauengemächern.
    Dort stieg er aufs Dach und setzte sich neben die Überreste eines alten Windfangs, blies die Lampe aus und wickelte sich fest in den Umhang. Hierher ist Vater immer gegangen, wenn er allein sein wollte, dachte er, und hier hat Mersu ihn überfallen. Es gehört sich, dass ich meine letzte friedliche Nacht in Sicherheit an diesem Ort verbringe. Unter ihm träumten die Säle des Palastes still vor sich hin, doch hier oben zeigten die Sterne und ein fast voller Mond Kamose die verschwommenen Umrisse des Gartens und eines Teils des schlafenden Hauses.
    Sein Blick wanderte von dort zum Laubengang und den dunklen Palmen, die sich um die Bootstreppe scharten. Fackeln erhellten die Nacht mit ihrem dunkelgoldenen Schein, einige auf dem Fluss, wo er sich zitternd auf dem Wasser spiegelte, einige an beiden Ufern. Rufe und das Gemurmel vieler Stimmen wehten zu ihm hoch. Sein Heer sammelte sich, gehorchte seinem
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