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Der Fluch der Maorifrau

Der Fluch der Maorifrau

Titel: Der Fluch der Maorifrau
Autoren: Laura Walden
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gesamte Testament verlesen.«
    Sophie nickte und fauchte: »Wenn es unbedingt sein muss!« Sofort bedauerte sie, dass sie sich im Ton vergriffen hatte. Was konnte der Anwalt dafür, dass Emma sie ein Leben lang belogen hatte? Er tut doch auch nur seine Pflicht, dachte Sophie und wollte sich gerade entschuldigen, als er fortfuhr.
    »Mein Vermögen in Höhe von schätzungsweise zwei Millionen Neuseeland-Dollar erben zu gleichen Teilen meine Tochter Sophie de Jong und Thomas Holden. Letzterer soll frühestens acht Wochen nach meinem Tod in Kenntnis gesetzt werden, damit meine Tochter die Gelegenheit hat, vorher alles zu lesen.«
    »Vermögen?«, stammelte Sophie.
    »Dieses Vermögen der Familie McLean hat mein Vater mehr als vierzig Jahre lang verwaltet. Es entspricht ungefähr eins Komma drei Millionen Euro«, erläuterte ihr der Anwalt ruhig.
    Sophie war fassungslos. »Und wer ist dieser Thomas Holden?«
    Der Anwalt zuckte mit den Achseln. »Das habe ich Ihre Mutter auch gefragt, aber sie sagte mir, es wäre besser, wenn ich es nicht wisse. Sie würden mich sicherlich danach fragen, hat sie gemeint, und da wäre es sicherer, ich käme nicht in Versuchung, es Ihnen mitzuteilen. Sie werden es erfahren, wenn Sie diese Aufzeichnungen lesen. Aber wenn Sie sie nicht lesen wollen, werden wir nach acht Wochen den zweiten Erben ausfindig machen und ihm das Testament eröffnen. Vielleicht kann er sich dann ja bei Ihnen melden.«
    Sophie hatte gar nicht richtig zugehört. Was hat sich Emma nur dabei gedacht?, fragte sie sich. Wie sie ihre Mutter kannte, war dies der Versuch, ihre Tochter über den Tod hinaus zu beschützen, aber wovor? Was musste das für eine schreckliche Wahrheit sein, die sie ihr so schonend beizubringen versuchte? Sophie zitterte.
    Nach einer halben Ewigkeit warf sie einen flüchtigen Blick auf die Kiste und spürte intuitiv, dass sich ihr Leben grundlegend ändern würde, wenn sie dieses Vermächtnis annahm. In ihrem Inneren tobten schwere Kämpfe um die richtige Entscheidung. Eine Stimme riet ihr zur Flucht, eine andere forderte sie auf, ihrer Mutter zu gehorchen und zuzugreifen, eine dritte wollte ihr einreden, dass diese Kiste vielleicht ein wertvolles Wissen beinhalte, dass ihr helfen werde, über den Verlust ihrer Mutter hinwegzukommen.
    Seufzend beugte sich Sophie vor, berührte die Kiste mit den Eisenbeschlägen, strich zaghaft über das alte Holz, zog sie vorsichtig zu sich heran und öffnete sie. Judith und John hielten den Atem an.
    Sophie zögerte. Ein muffiger Geruch schlug ihr entgegen. Sie nahm einen vergilbten Briefumschlag heraus, der in der Mitte durchgerissen war. Sie konnte erkennen, dass auf dem Absender ANZAC stand und darunter Australian and New Zealand Army Corps, aber sie legte ihn hastig zur Seite, ohne auch nur einen einzigen Blick hineinzuwerfen, als fürchte sie, sich daran die Finger zu verbrennen. Darunter befand sich eine Daguerreotypie. Behutsam nahm sie das vorsintflutliche Foto zur Hand. Wer waren diese Menschen aus einem längst vergangenen Jahrhundert, die steif und lustlos in die Kamera blickten? Diese bis obenhin zugeknöpfte junge Frau? Sie schaute entsetzlich ernst aus, doch beim näheren Hinsehen musste Sophie feststellen, dass sie Emmas Mund besaß - und ihre Augen. Hastig legte Sophie das Bild in die Kiste zurück. Sie schob es unter ein Buch aus schwarzem Leder, das schon ganz brüchig war. Dann klappte sie die Kiste entschlossen zu. Ihr Blick blieb an dem Stapel Papier hängen, der neben der Kiste lag - die Aufzeichnungen ihrer Mutter, fein säuberlich auf dem Computer geschrieben. Ganz vorsichtig, als wäre es zerbrechlich, nahm Sophie das Skript zur Hand. Es waren bestimmt weit über vierhundert Seiten, und Sophie spürte augenblicklich einen unwiderstehlichen Sog, in diese Welt einzutauchen, die ihre Mutter für sie niedergeschrieben hatte und die zum Greifen nah schien, selbst auf die Gefahr hin, dass sie darin ertrinken würde. Sie spürte es mit jeder Faser. Sie hatte keine Wahl. Keine ruhige Minute würde sie mehr haben, wenn sie sich dieser Welt verschloss.
    Sophie atmete ein paarmal tief durch, bis sie kaum hörbar raunte: »Entschuldigen Sie, Mister Franklin, ich habe Ihnen vorhin kaum zugehört, aber sagten Sie nicht, dass Sie sich um die Beerdigung hier kümmern würden?«
    Der Anwalt nickte und erwiderte hastig: »Es freut mich, dass Sie den Wunsch Ihrer Mutter respektieren, aber da wäre noch etwas.«
    Sophie hatte das Gefühl, ihr Herzschlag würde
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