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Der Fluch der falschen Frage

Der Fluch der falschen Frage

Titel: Der Fluch der falschen Frage
Autoren: Lemony Snicket
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Trocknen aufgehängte Geisterwäsche, und dahinter die Nadeln, die ihre Tinte in die wartenden Fässer pumpten.
    Theodora bremste und stieg aus dem Auto, dehnte sich, zog dann die Handschuhe aus und nahm die Kappe ab. Jetzt endlich hatte ich freie Sicht auf ihre Haare, die kaum weniger befremdlich schienen als alles andere auf unserer Fahrt. Ich hätte zum Friseur gemusst, aber gegen S. Theodora Markson wirkte ich geradezu kahl. Ihr Haar stand in wilden, wirren Strähnen vom Kopf weg wie ein Wasserfall aus struppigen Wollzotteln. Es war schwer, ihr zuzuhören, solange ich dieses Gestrüpp vor mir sah.
    » Hör gut zu, Snicket«, sagte meine Mentorin. » Du bist in der Probezeit. Angesichts deines Faibles für überflüssige Fragen und anmaßende Kommentare muss ich mir schwer überlegen, ob ich dich behalte. Faible ist ein Wort, das hier soviel bedeutet wie ›Vorliebe‹.«
    » Ich weiß, was Faible bedeutet«, sagte ich.
    » Genau das meine ich«, sagte Theodora streng und fuhr sich rasch mit den Fingern durchs Haar, um es zu bändigen. Es ließ sich nicht bändigen, so wenig wie Blutegel. » Unser erster Klient wohnt hier, und wir sehen ihn heute zum ersten Mal. Du wirst so wenig wie möglich sagen und alles mir überlassen. Ich bin eine große Nummer in meinem Fach, und du wirst viel lernen, solange du den Mund hältst und nicht vergisst, dass du nur ein Praktikant bist. Hast du verstanden?«
    Sehr gut sogar. Kurz vor dem Abschluss hatte ich eine Liste der Mentoren erhalten, bei denen ich anheuern konnte, angeordnet nach dem Erfolg, mit dem sie ihre diversen Missionen ausführten. Die Liste umfasste zweiundfünfzig Mentoren. S. Theodora Markson rangierte an zweiundfünfzigster Stelle. Sie war alles andere als eine große Nummer, und genau deshalb hatte ich sie gewählt. Die Landkarte war nicht das Gelände. Ich hatte mir vorgestellt, als Praktikant in der Hauptstadt zu arbeiten, so dass ich mit jemandem, dem ich rückhaltlos vertraute, eine hochwichtige Aufgabe zu Ende führen konnte. Aber die Welt entsprach nicht der Vorstellung, die ich mir von ihr machte, und so stand ich stattdessen neben einer ungekämmten Fremden und sah hinaus auf ein Meer ohne Wasser und einen Wald ohne Bäume.
    Ich folgte Theodora die Auffahrt entlang und eine lange Ziegeltreppe hinauf zur Eingangstür, wo sie sechsmal hintereinander Sturm klingelte. Alles sagte mir, dass das falsch war– dass wir am falschen Ort vor der falschen Tür standen. Aber das half mir nichts. Zu wissen, dass etwas falsch ist, ohne dass das etwas hilft, ist eine Erfahrung, die man im Leben häufig macht, und ich bezweifle, dass ich je wissen werde, warum.

Drittes Kapitel
    Nach dem sechsten Klingeln näherten sich von d rinnen gedämpfte Schritte, aber meine Gedanken waren abgeschweift. Statt vor der Tür eines Herrenhauses an diesem fremden, fernen Ort sah ich mich an einer Baugrube in der Hauptstadt mit meinem Maßband und meiner treuen Verbündeten. Ich sah mich im Besitz sämtlicher Habseligkeiten, die ich in meinen Koffer gepackt hatte. Ich sah mich an einem Ort, wo mir niemand eine komische glänzende Atemmaske aufzwang. Und vor allem sah ich mich an einem Ort, wo ich nicht so fürchterlich hungrig war. Ich hatte mich auf einen Imbiss im Zug gefreut und war stattdessen in Theodoras Roadster eine endlose Strecke ohne auch nur die winzigste Erfrischung gefahren, und während ich im Geist angenehm gesättigt von einem ausgezeichneten Mahl war, knurrte in Schwarz-aus-dem-Meer mein Magen ganz erbärmlich.
    Deshalb achtete ich auch nicht weiter auf den Butler, der uns öffnete, oder auf den Flur, durch den er uns führte, ehe er uns eine Flügeltür aufhielt und uns bat, in der Bibliothek zu warten. Ich hätte darauf achten sollen. Ein Praktikant sollte an einem neuen Ort peinlich genau auf alle Einzelheiten achten, besonders wenn das Mobiliar nicht recht zum Raum passen will oder die sogenannte Bibliothek nur aus einer Handvoll Büchern besteht. Aber ich drehte mich nicht einmal um, als der Butler die Tür hinter uns schloss, sondern hatte nur Augen für einen kleinen, hellen Tisch an der Rückwand des großen, düsteren Raumes, wo auf einem Tablett Teetassen und ein Teller mit exakt einem Dutzend Keksen bereitstanden. Ich ging näher heran. Es waren Mandelkekse, aber meinetwegen hätten sie auch aus Spinat und Schuhsohlen sein dürfen. Ich aß elf Stück, einen nach dem anderen. Es ist unhöflich, den letzten Keks aufzuessen.
    Theodora hatte auf einem kleinen
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