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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt
Autoren: Katherine McLean
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bet­telt nicht.
    Wenn ich den Leu­ten vom Ar­beitsamt er­zähl­te, daß mei­ne Schü­ler­bei­hil­fe nicht mehr kam, wenn ich ih­nen sag­te, daß ich Geld brauch­te, wür­den sie mir ei­ne Er­wach­se­nen­un­ter­stüt­zung und ei­ne Fahr­kar­te ge­ben, da­mit ich New York ver­ließ und nie wie­der zu­rück­kam.
    Ah­med der Ara­ber kam die Stra­ße hin­un­ter. Er ging sehr schnell, mit wip­pen­den Schrit­ten. Als wir klein wa­ren, war er der Kö­nig un­se­res Blocks, und manch­mal hat er mich ge­fragt, ob ich ihm nicht hel­fen kön­ne. In die­sem Jahr hat­te Ah­med einen Job bei der Ret­tungs­bri­ga­de. Viel­leicht wür­de er mich ihm hel­fen las­sen. Viel­leicht konn­te er mir einen Job ver­schaf­fen. Ich hat­te ihn im­mer gut lei­den kön­nen.
    Als er nä­her kam, wink­te ich ihm zu. „Ah­med.“
    Er ging wei­ter, war in Ei­le. „Na schön, Ge­or­ge, komm wei­ter.“
    Ich nahm sei­nen Schritt auf. „Was bist du so ei­lig?“
    „Schau dir die Wol­ken an, Mensch. Ir­gend­was wird pas­sie­ren. Das müs­sen wir ver­hin­dern.“
    Ich sah mir die Wol­ken an und hat­te das Ge­fühl, daß sie den gan­zen Him­mel be­deck­ten. Ge­fähr­lich aus­se­hen­de, dunkle Schmutz­wol­ken hat­ten sich über die Stadt ge­legt. Sie sa­hen aus, als wür­den sie je­den Mo­ment aus­ein­an­der­plat­zen und Feu­er und Dreck ver­sprü­hen. Im Psy­cho­lo­gie­un­ter­richt auf der High School hat­ten sie ge­sagt, daß Men­schen die Din­ge im­mer so se­hen, wie sie ih­rer Stim­mung ent­spre­chen. Daß mei­ne Stim­mung nicht die bes­te war, wuß­te ich, aber ich wuß­te im­mer noch nicht, wie der Him­mel wirk­lich aus­sah. Dun­kel war er ja, aber viel­leicht trotz­dem harm­los.
    „Was ist das?“ frag­te ich. „Ist es Smog?“
    Ah­med blieb ste­hen und sah mir ins Ge­sicht. „Nein. Es ist Angst.“ Er hat­te recht. Die Angst lag wie ein Ne­bel in der Luft. Es war Angst in den be­droh­li­chen Wol­ken und in der Fins­ter­nis auf den Ge­sich­tern der Leu­te. Die Men­schen eil­ten ge­bückt un­ter dem schwe­ren Him­mel da­hin, als wür­de ein kal­ter Re­gen fal­len. Die Ge­bäu­de über uns schie­nen sich aus­zu­deh­nen.
    Ich schloß die Au­gen, aber das än­der­te nichts.
    Im ver­gan­ge­nen Jahr, als Ah­med und ich für die Ret­tungs­bri­ga­de ge­lernt hat­ten, hat­te er ein Schu­lungs­buch ge­öff­net und mir et­was über den Un­ter­schied zwi­schen der in­ne­ren und äu­ße­ren Rea­li­tät be­greif­lich zu ma­chen ver­sucht – und wie Men­schen in Pa­nik ge­ra­ten, wenn sie al­le­samt den glei­chen Ein­druck ha­ben. Ich öff­ne­te die Au­gen und stu­dier­te die Men­schen, die auf mich zu­ka­men, an mir vor­bei­gin­gen und von mir weg eil­ten. Ich sah sie als sich be­we­gen­de Men­schen­mas­sen. Die Leu­te in New York ha­ben es im­mer ei­lig. Sa­hen sie al­le die sich nei­gen­den Ge­bäu­de, die den An­schein er­weck­ten, als wür­den sie gleich um­kip­pen? Hat­ten sie al­le Angst, dar­über zu re­den?
    „Ah­med, du Ret­tungs­bri­ga­den­spit­zel“, sag­te ich. „was wür­de pas­sie­ren, wenn wir jetzt mit al­ler Kraft ‚Erd­be­ben’ rie­fen? Käme es dann zu ei­ner Pa­nik?“
    „Höchst­wahr­schein­lich.“ Ah­med mus­ter­te mich in­ter­es­siert. Sein schlan­kes Ge­sicht und sei­ne schwar­zen Au­gen wirk­ten ge­spannt. „Wie fühlst du dich, Ge­or­ge? Du siehst krank aus.“
    „Ich füh­le mich lau­sig. Mit mei­nem Kopf stimmt was nicht. Mir ist schwind­lig.“ Re­den mach­te es nur noch schlim­mer. Ich lehn­te mich ge­gen ei­ne Haus­wand. Die Wand beb­te, und ich hat­te das Ge­fühl, flach auf dem Bo­den zu lie­gen, ob­wohl ich auf den Bei­nen stand.
    „Was, zum Kuckuck, ist nur mit mir los?“ frag­te ich. „Man kann doch nicht so krank wer­den, wenn man ein paar Mahl­zei­ten aus­läßt, oder?“ Schon das Er­wäh­nen von et­was Eß­ba­rem führ­te da­zu, daß sich mein Ma­gen selt­sam hohl und aus­ge­trock­net an­fühl­te. Plötz­lich dach­te ich an den Tod. „Ich ha­be nicht mal Hun­ger“, sag­te ich zu Ah­med. „Bin ich wirk­lich krank?“
    Ah­med war ei­ner von de­nen, die auf al­les ei­ne Ant­wort ha­ben.
    „Mann, du bist ein­fach ein gu­ter Emp­fän­ger.“ Er mus­ter­te mein Ge­sicht.
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