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Der Erdbeerpfluecker

Der Erdbeerpfluecker

Titel: Der Erdbeerpfluecker
Autoren: Monika Feth
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konnte.
    Ich lieߟ mich auf einen der Gartenstühle fallen, lehnte mich zurück und atmete tief ein. Wenn ich es jemals bereuen sollte, nicht mehr hier zu wohnen, dann nur wegen dieser Landschaft. Der Blick ging über buckliges Land, auf dem die Schafe eines benachbarten Bauern weideten. Hier und da stand ein trotziger, krummer Obstbaum wie vergessen im Gras.
    Niemand hatte diese Landschaft angerührt. Auch meine Mutter war dankenswerterweise nicht auf die absurde Idee verfallen, hier einen parkähnlichen Garten anzulegen oder anlegen zu lassen. Wie ich hatte sie den Zauber gespürt und ihn nicht angetastet.
    Das Rauschen des Bachs machte die Idylle komplett. Ich verschränkte die Hände hinterm Kopf und schloss die Augen.
    »Wann bist du wieder unterwegs?«, fragte ich.
    Meine Mutter wartete mit der Antwort, bis ich die Augen öffnete. »Nur zu ein paar Einzellesungen. Du weiߟt doch, dass ich das Sommerloch immer zum Schreiben nutze.«
    Sommerloch. Alles kreiste um ihr Schreiben. Sogar die Jahreszeiten. Seit sie sich von meinem Vater getrennt hatte, war das Schreiben noch wichtiger geworden. Als wäre es ein Schutz vor der Welt, dem Alleinsein oder den Gefühlen.
    Ich sah meine Mutter genauer an. Und wenn ihr ganzes erlesenes ߄uߟeres nur Fassade war? Ein perfekter Panzer? Ich spürte ihre nervöse Energie. Sie schien förmlich über den Tisch zu flieߟen. So war sie immer am Anfang eines neuen Buchs. Fuhr ihre Tentakel aus, tastete jeden Menschen ab, jedes Wort, jedes Geräusch, jeden Klang und jeden Geruch.
    In solchen Augenblicken hatte es keinen Sinn, ihr irgendwas zu erzählen, denn sie war zwar körperlich anwesend, aber ihre Gedanken waren ganz woanders.
    »Es ist eigenartig mit diesem Roman«, sagte sie zögernd. »Ich hab meinen Helden noch nicht gefunden. Dabei ist das erste Kapitel schon fertig.«
    Ich nickte, weil ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte. Allerdings erwartet meine Mutter meistens auch keine Antwort, wenn sie von Problemen bei der Arbeit erzählt. Sie denkt dann einfach nur laut und benutzt ihr Gegenüber wie einen Spiegel.
    Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Klügste im ganzen Land?
    Nein. Das war das falsche Märchen. Ich hatte kein Talent zu einem Schneewittchen. An einem einzigen vergifteten Satz könnte ich ersticken.
    Schweigend tranken wir unseren Kaffee.
    »Und warum bist du gekommen?«, fragte meine Mutter.
    Gute Frage. Warum war ich gekommen? Vielleicht hatte ich es gewusst, doch inzwischen hatte ich es vergessen.
     
    Die Tote lag unbekleidet im Unterholz. Sie lag auf dem Rücken. Die Arme hingen an ihrem Körper herab. Ihr rechtes Bein war leicht angewinkelt, das linke ausgestreckt.
    Man hatte ihr die Haare abgeschnitten. Eine lose Strähne hatte sich an ihrer Schulter verfangen, andere waren weggeweht worden und hatten sich um Pflanzenstängel gewickelt oder an die raue Rinde von Bäumen geschmiegt.
    Ihre Augen waren weit aufgerissen und starrten in den Himmel. Als wäre sie im Moment des Sterbens vor allem erstaunt gewesen.
    Es waren Kinder, die sie fanden. Ein Junge und ein Mädchen, Geschwister, der Junge zehn, das Mädchen neun Jahre alt. Die Eltern hatten ihnen verboten, im Wald zu spielen. Sie hatten es trotzdem getan. Und waren entsetzlich dafür bestraft worden. Mit einem Anblick, den sie ihr Leben lang nicht vergessen würden.
    Schreiend rannten sie davon. Schreiend stolperten sie über Wiesen und Weiden, kletterten über Zäune, krochen unter Stacheldraht hindurch. Als sie über den Hof der Ziegelei abkürzen wollten, wurden sie von einem Arbeiter aufgehalten. Er hörte sich an, was sie unter Schluchzen und Wimmern hervorbrachten, rief die Polizei und begleitete die Kinder ins Büro, wo ihnen die Sekretärin einen Kakao machte und die Mutter verständigte.
    Es stellte sich heraus, dass es sich bei der Toten um ein achtzehnjähriges Mädchen handelte. Dass sie vergewaltigt worden war. Man fand sieben Einstiche an ihrem Körper, von denen schon der erste, der direkt ins Herz getroffen hatte, tödlich gewesen war.
    Die Tote stammte aus Hohenkirchen, einem Nachbarort von Eckersheim, eine Schülerin, die noch bei ihren Eltern gewohnt hatte. Einer der Beamten der Schutzpolizei, die am Fundort gewesen waren, hatte sie identifizieren können. Und da er die Eltern kannte, hatte er sich bereit erklärt, ihnen die Nachricht zu überbringen.
    Die Mutter brach an der Tür zusammen. Ihr Mann führte sie zum Sofa im Wohnzimmer und legte ihr eine
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