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Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)

Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)

Titel: Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
Autoren: Hansi Hartwig
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auf die Blumen in seiner Hand. Freesien, die Lieblingsblumen seiner Mutter. Würden sie in deren Augen nicht eine mehr als billige Entschuldigung darstellen? Nichts, aber auch gar nichts konnte er damit wiedergutmachen.
    Als eine Viertelstunde später ein Wagen neben ihm auf der St raße hielt und sich die Taxifahrerin fröhlich erkundigte, ob er es sich anders überlegt und wieder zum Flughafen zurückfahren wollte, straffte er die Schultern und atmete tief durch. Er hatte über diesen Schritt gründlich nachgedacht und einen Rückzieher würde er sich nicht gestatten. Feigheit war ein Fremdwort für ihn. Wenn er sich etwas vorgenommen hatte, zog er es bis zum bitteren Ende durch – egal, wie schmerzlich es werden würde.
    Dankend lehnte er ab und gab sich einen innerlichen Ruck. Seinen kleinen Koffer in der Hand ging er den Kiesweg entlang, der am Pförtnerhaus vorbei schnurgerade zum Herrenhaus von Sean Garraí führte. Er setzte seine Schritte betont langsam, obwohl sein Herz dermaßen heftig schlug, dass er am liebsten ebenfalls gerannt wäre.
    Aber er konnte nicht schneller laufen , ohne zu riskieren, dass man sofort sein Hinken bemerkte. Auf feuchtkaltes Wetter reagierte sein Bein meist mit bohrenden Schmerzen, dennoch hatte er nicht länger mit dieser Reise warten wollen. Und das ausgerechnet zu dieser Jahreszeit! Sein lädiertes Bein allerdings bereitete ihm momentan am wenigsten Kopfzerbrechen.
    Einen Augenblick hielt er inne und blieb vor einer Hagebuche stehen. Wie zu r Begrüßung ließ er seine Hand über die glatte Rinde des Stammes gleiten. Die Äste wuchsen in einem spitzen Winkel gerade in die Höhe, strebten unbeirrt dem Licht entgegen, bis sie mit zunehmendem Alter eine mächtige, ausladende Krone bilden würden, sodass der Abstand zu den nächsten Bäumen nicht mehr ausreichen würde. Matthias Clausing hatte die Hagebuche eigenhändig anlässlich seiner Geburt gepflanzt, da sie der Baum seines Geburtsmonats Dezember war, und ihm später erklärt, dass schon die Kelten das härteste Nutzholz in Europa „Eisenholz“ genannt hatten.
    In Gedanken zerrieb er ein paar dürre , braune Blätter vom vergangenen Jahr zwischen den Fingern. Ob Ean nach wie vor der Gärtner auf Sean Garraí war? Wie alt mochte er inzwischen sein? Etwas älter als seine mam . Fünfundfünfzig? Ein wehmütiges Lächeln zuckte um seinen Mund, als er sich an die unbeschwerten Tage seiner Kindheit erinnerte, wenn Ean mit ihm, dem damals Siebenjährigen, im Schlepptau und mit Sägen und Äxten bewaffnet einen schier aussichtslosen Kampf gegen die mannshohen Rhododendren geführt hatte.
    Die Büsche säumten wie eh und je den Kiesweg, der vor ihm lag. Noch trugen sie lediglich dicke Knospen, aber nicht mehr lange und sie würden eine üppige Blütenpracht entfalten. So schön sie dann auch aussehen mochten, würden sie mit ihrer Fülle den anderen Sträuchern und Bäumen das Licht nehmen und sie ersticken.
    Als er weiter ging, entdeckte er das Cottage, dessen frisches Weiß zwischen den Obstbäumen hervorleuchtete. Fast glaubte er, der Duft frisch gebackener Plätzchen würde ihm in die Nase wehen, ein Duft, der ihn und seine Brüder wenigstens einmal am Tag unwiderstehlich in das Haus von Máire und Pádraig Ó Briain gelockt hatte. Stets hatten Damien, Julian und ihn eine Kostprobe des noch warmen Gebäcks und eine über alle Backen strahlende Máire erwartet, die ihnen wie eine Großmutter gewesen war.
    Er war versucht , hinüber zu laufen und nachzusehen, ob sie heute ebenfalls mit einem Kuchen auf ihn wartete. Was natürlich Unsinn war, da niemand von seiner Ankunft wusste.
    Alles zu seiner Zeit, wies er sich zurecht und schämte sich regelrecht für seine sentimentalen Anwandlungen, die ihn schier erdrücken wollten, seit er das Flugzeug auf dem Sionainn Aerfort verlassen hatte.
     
    „Sieh an. Wenn das mal nicht unser verschollener Bruder ist, der da plötzlich aus der Versenkung auftaucht.“ Der blonde, schmalgesichtige Mann blickte lediglich kurz auf und wandte sich dann wieder dem Pferd zu, das er gerade striegelte, einem prachtvollen Hengst mit glänzendem Fell. „Was verschafft uns denn diese Ehre?“
    „Hallo, Damien. Ich …“
    Er musste zugeben, sich tatsächlich auf das Wiedersehen mit seiner Familie gefreut zu haben. Die unterkühlte Begrüßung durch seinen jüngeren Bruder ernüchterte ihn dagegen mit einem Schlag. Natürlich hatte er nicht wirklich erwartet, mit offenen Armen empfangen zu werden, gab es
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