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Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)

Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)

Titel: Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
Autoren: Hansi Hartwig
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Matthias! Verdammt noch mal, was ist los?“
    Die Finger in seine Brust gekrallt, rang er nach Atem. Mit atemloser, abgehackter Stimme, die nicht ihm zu gehören schien, stammelte er: „Es geht … nein, … nicht gut. Doktor Carty … kümmere dich … deine Mutter … Geh zu ihr. Sie braucht dich.“
     
    Was danach folgte, erschien ihm wie ein böser Traum. Ein Albtraum, der nicht enden wollte. Er hatte sich auf den Hügel hinter dem Herrenhaus verkrochen und sich auch dann noch in seinem Elend gesuhlt, als der Rettungshubschrauber vor dem Haus landete. Das Gesicht von Tränen nass hatte er beobachtet, wie seine Mutter zu Fearghais Ó Briain, dem Hausverwalter, ins Auto stieg und mit ihm davonfuhr. Erst spät in der Nacht war er ins Haus zurückgekehrt. Er wollte sicher sein, dass ihm niemand begegnete, der ihn zur Rede hätte stellen können.
    Während der nächsten Stunden ordnete er seine persönlichen Sachen und packte das Notwendigste in zwei Taschen, um für immer diesem Ort den Rücken zu kehren, dem altehrwürdigen Sean Garraí , das seine Zukunft hatte sein sollen und dabei mit so vielen schmerzlichen Erinnerungen verbunden war, dass ihm ein weiteres Bleiben unmöglich schien.
    Im Morgengrauen hatte er sich mit gesenktem Kopf aus dem Haus geschlichen und dabei völlig übersehen, wie ihn ein grünes Augenpaar unter gerunzelter Stirn aufmerksam verfolgte. Er wandte sich nicht um, als er durch das Steintor schritt. Kein einziges Mal blieb er stehen, um sich mit einem letzten Blick von seinem Zuhause zu verabschieden.
     

1. Kapitel
     
    Er ließ sich an der Hauptstraße vor dem Tor nach Sean Garraí absetzen. Neugierig hatte die Taxifahrerin den jungen Mann gemustert, als er ihr am Flughafen sein Ziel nannte, aber seine reglose Miene hielt sie von tiefer gehenden Fragen ab. So war ihr einseitiges Gespräch nach ein paar belanglosen Äußerungen über das unberechenbare Aprilwetter im Allgemeinen und das irische im Besonderen schließlich verstummt. Ihr Fahrgast schien damit zufrieden zu sein.
    Komischer Kauz. Vermutlich einer vom Kontinent. Trotz ihrer Menschenkenntnis hätte sie nicht mit Bestimmtheit sagen können, woher er stammte. Er hatte sie in perfektem Oxford-Englisch angesprochen. Als sie ihn daraufhin augenzwinkernd auf Gälisch begrüßte – die Touristen in der Gaeltacht erwarteten das einfach von den Einheimischen –, antwortete er ihr in gleicher Weise und zwar im allerschönsten Dialekt von Munster . Ohne mit der Wimper zu zucken oder ihr Lächeln zu erwidern.
    Woher hätte sie auch wissen sollen, dass er b eizeiten gelernt hatte, seine Gefühle zu verbergen? Obwohl sein Adoptivvater den Titel eines Grafen trug, war er in den Augen der Jungen an seiner Schule nichts anderes als ein namenloser Bastard gewesen, als der er zur Welt gekommen war – und somit für sie nichts Besseres als ein Dienstbote. Da er selber darauf bestanden hatte, in dem Internat fernab von Killenymore untergebracht zu werden, war er trotz aller Schikanen und Demütigungen geblieben. Er wollte niemandem die Genugtuung verschaffen zu behaupten, er würde bei der ersten Schwierigkeit davonlaufen.
    Von Anfang an war er sich seiner Rolle als Außenseiter bewusst gewesen und hatte sich, während die anderen Burschen standesgemäßen Vergnügungen wie dem Trinken, Tanzen, Fechten und Jagen frönten, mit ganzem Eifer seiner geistigen Ausbildung gewidmet. In der Abgeschiedenheit der Bibliothek hatte er alles gelesen, was ihm zwischen die Finger geraten war, sodass es schließlich niemanden verwunderte, als er seine Abiturprüfungen als Jahrgangsbester ablegte.
    Bereits zu jener Zeit war es ihm gelungen, seine Gedanken und Gefühle hinter einer starren Maske zu verstecken. Keiner sollte den Zorn und die Angst, seinen Schmerz und die Trauer sehen, die einen nie enden wollenden Kampf in ihm ausfochten. Inzwischen hatte er diese Fähigkeit zu einer derartigen Perfektion gebracht, dass alle glaubten, er hätte gar kein Herz.
    Noch immer stand er unter dem steinernen Torbogen , ohne sich von der Stelle zu rühren. Einen Moment noch wollte er die Idylle genießen, den majestätischen Anblick des Herrenhauses auf sich einwirken lassen, seine Erhabenheit und Größe. Er konnte sich nicht erinnern, das kunstvoll geschmiedete, frisch gestrichene Eisengitter jemals anders als weit aufgesperrt gesehen zu haben. Einladend. Für jeden offen.
    Gl eichwohl nagten heftige Zweifel an ihm, ob man auch ihn willkommen heißen würde. Er schaute
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