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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher
Autoren: Stefan Brijs
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wieder zu Hause sein. Dadurch zog er erst recht die Aufmerksamkeit auf sich, und wer ihn von weitem kommen sah, wechselte meist die Straßenseite und sah ihm nach, bis er verschwunden war.
    Sowohl Martha Bollen als auch der Bankangestellte Louis Denis und der Postbeamte Arthur Boulanger berichteten, Doktor Hoppe sei kein Mann vieler Worte. Er schien sehr schüchtern zu sein, war aber immer freundlich. Wenn er »Guten Tag«, »Dankeschön« und »Auf Wiedersehen« sagte, war dabei jedes Mal seine Sprechstörung zu hören.
    »Er verschluckt bestimmte Buchstaben«, sagte Louis Denis.
    »Er spricht so nasal«, sagte Martha, »und immer in derselben monotonen Weise. Und er sieht mich nie an, wenn er etwas sagt.«
    Auf die oft gestellte Frage, was der Doktor denn so alles kaufe, lautete die Antwort immer gleich: »Das Übliche. Windeln, Babynahrung, Milch, Waschmittel, Zahnpasta und dergleichen.«
    Aber dann beugte sie sich weit über die Ladentheke, hielt sich die Hand halb vor den Mund und fuhr im Flüsterton fort: »Jedes Mal kauft er auch zwei Polaroid-Kassetten. Wer macht nur von solchen Kindern so viele Fotos?«
    Darauf reagierten auch ihre Kunden meist mit blankem Unverständnis, und Martha nutzte die Gelegenheit, sie noch näher heranzuwinken. In einem Tonfall, als ginge es um ein schreckliches Verbrechen, beschloss sie ihre Rede mit den Worten: »Und er bezahlt grundsätzlich mit 1000-Francs-Scheinen.«
    Über die Herkunft dieser Scheine wusste Louis Denis zu berichten, dass der Doktor gelegentlich Deutsche Mark in belgische Francs umtauschte. Ein Konto hatte er allerdings noch nicht eröffnet. Er bewahrte all das Geld also zu Hause auf.
    Weil Doktor Hoppe keinerlei Anstrengungen unternahm, Patienten zu gewinnen, und auch kein Schild mit Sprechstunden am Zauntor hing, kamen die Einwohner zu dem Schluss, dass er wohl vorerst noch von den Einkünften leben konnte, die er in der Vergangenheit angehäuft hatte, auf welche Weise auch immer.
    Dennoch sah es aus, als wollte er eines Tages durchaus seinen Beruf im Dorf ausüben, denn in den ersten drei Wochen hielt mindestens drei Mal ein Lastwagen aus Deutschland vor seinem Haus und lieferte medizinische Apparate ab. Halb versteckt hinter den Küchengardinen notierte Irma Nussbaum gegenüber jedes Mal das Kennzeichen und die Tageszeit und machte Aufzeichnungen über die gelieferte Ware. Manche Dinge erkannte sie auf Anhieb, etwa einen Untersuchungstisch, eine große Waage und einige Infusionsständer, aber meist wies nichts auf den Inhalt der schlichten Holzkisten hin, sodass sie sich die darin befindlichen Monitore, Mikroskope, Spiegel, Messbecher und Reagenzgläser dazuphantasieren musste. Nach jeder Lieferung erstattete sie den anderen Frauen des Dorfes ausführlich Bericht, und als sie eines bitterkalten Morgens Anfang Januar ihren Nachbarn mit einem Stethoskop um den Hals die Post aus dem Briefkasten holen und vorsichtig die Straße entlangspähen sah, verkündete sie überall, die Praxis Doktor Hoppes sei nun offiziell eröffnet und er erwarte voll Ungeduld seine ersten Patienten.
    Einige tapfere Einwohner bekundeten daraufhin, sie wollten diese Praxis wohl doch einmal aufsuchen, wenn auch nur, um einen Blick auf die Kinder zu erhaschen. Denn die waren all die Wochen über den Blicken entzogen und dadurch langsam zu einem Mysterium geworden, das sogar die heilige Dreifaltigkeit übertraf. Doch eine Predigt Pastor Kaisergrubers, der der Gemeinde schon fast vierzig Jahre lang die Treue hielt, jagte bei der nächsten Sonntagsmesse auch den letzten Zweiflern Angst ein.
    »Seid gewarnt, Gläubige!«, rief er mit erhobenem Finger von der Kanzel. »Seid gewarnt, denn es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführet! Wahrlich, ich sage euch, er ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen!«
    Dann schob der Hirte des Dorfes eine kurze Pause ein und ließ den Blick über die mehr als zweihundert Gemeindemitglieder schweifen. Schließlich deutete er auf die erste Reihe, wo die Jungs aus dem Dorf in ihren Sonntagsanzügen mit ordentlich gekämmten Haaren nebeneinander saßen, und mahnte mit lauter Stimme: »Seid nüchtern und wachet; denn euer Widersacher, der Teufel, gehet umher wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge!«
    Und alle Anwesenden sahen, wie bei diesen letzten Worten der zitternde Zeigefinger beim langen Meekers hängen blieb, der bleich
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