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Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman

Titel: Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman
Autoren: Luchterhand
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selbstvergessen. Eine Frau sah ihn an. Er grinste ihr zu.
    Darius Kopp hatte erst durch den Verlust seines Führerscheins lernen müssen, den öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen. Seit der Wende, seit dem ersten 14 Jahre alten Gebrauchtwagen, mit nichts anderem mehr unterwegs gewesen als dem eigenen Kraftfahrzeug. - Meinem eigenen faradayschen Käfig, darin meinen Alcantara-Sitz, meiner Klimaanlage, meinem Radio, meiner - ich verwende dieses Wort im weitesten Sinne - Sauberkeit, anstatt jeden Morgen und jeden Abend zusammengesperrt zu sein mit anderer Leute Ärsche und Aggressionen. Das gibt mir das Gefühl, kein Loser zu sein. So einfach ist das. - Flora versteht das, aber, Liebster, ich halte es doch auch aus, also ist es auszuhalten, und vier Wochen sind schließlich nicht lebenslang und das hier ist kein Bus in Kairo, also, halte durch.
    Immer doch. (Noch eine Woche.)
    Immerhin, die Züge waren sauberer und schneller, als er gedacht hätte, und die erhöhte Position erlaubt einem bis dahin
unbekannte Einblicke in die Stadt. Wie viele Brachen es gibt, und wie viele Schrebergärten. Die Rückseiten der Häuser. Sei immer schön fröhlich, nur so wirst du Könich - auf eine Brandmauer gepinselt.
    Es waren 7 Stationen zu fahren, die Strecke war kurvig, mal saß er in der Sonne, mal im Schatten.
    Bei der zweiten Station rief sein Autohändler an. (Ausgerechnet.) Der Leasingvertrag für den Dienstwagen läuft langsam, langsam aus. Ja, ich weiß. Wie ich bereits erwähnte, überlege ich, etwas zu downsizen, Sie ahnen wieso, die Spritpreise und alles. Einen 2.7er Motor zu nehmen wäre Augenwischerei, man müsste schon bis 2.0 runtergehen, aber dazu bekommt man nicht alles an Sonderausstattung, was ich brauche. Ich fahre 60 000 km im Jahr, da braucht es ein wenig Komfort, ganz zu schweigen von der Sicherheit. Übrigens bin ich nicht zufrieden mit dem Navigationssystem (nicht aktuell genug), dem MP3-Player (unmöglich, ihn während der Fahrt zu bedienen) sowie den Scheibenwischern (schmieren), aber all das wissen Sie, jetzt haben Sie auch noch Nachtblau aus der Farbpalette genommen, aber das ist unsere Firmenfarbe, mit Aufpreis lohnt sich nicht, wozu, ist ja trotzdem kein Nachtblau, ja, wir müssten uns auf jeden Fall zusammensetzen, man kann das schlecht in der S-Bahn besprechen. Ja, ich fahre mit der S-Bahn. Eine Probefahrt mit dem SUV, um mich bei Laune zu halten, könnte ich erst nächste Woche machen, wir fahren jetzt in den Tunnel, ich weiß nicht, ob …
    Telefonaffe.
    Ein alter, abgerissener Mann. Noch kein Penner, aber beinahe. Stand an derselben Stange bei der Tür, wie Kopp zuvor, sah ihm nicht in die Augen, murmelte seitwärts unter seiner langen Nase hervor.

    Führst dich hier auf, geh doch nach Hause, erzähl’s deiner Alten. (Oder: fick deine Alte. Das wurde nicht klar.)
    Den Kopf zieht er ein. Hat er Angst, ich schlage ihn? Steht da, wie eingeschissen.
    Die Bahn hielt, Kopp nahm die andere nächstgelegene Tür. Das nützte nicht viel, er musste an der Tür des Alten vorbei.
    Anzugaffe.
    Er sagte es ihm in den Rücken. Der greise Feigling.
    Darius Kopp ist keiner, der den Streit sucht, das hat er nicht nötig, nicht etwa, weil er so weise wäre oder sich so gut im Griff hätte, nein, er hat einfach das Glück, als sanftmütiger Mensch geboren worden zu sein. Nein, ich hasse meinen Nachbarn, meine Eltern, generell meine Mitmenschen, die Regierung, den Lauf der Geschichte, meine Heimat, die Fremde, das Leben auf der Straße etc. nicht. Noch nie. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Er blieb abrupt stehen und drehte sich um. Der Alte stand jetzt direkt vor ihm. Wässrige blaue Augen, aufgerissen, dennoch bleiben sie winzig.
    Jetzt mach mal halblang Opa, oder so etwas Ähnliches wollte Kopp sagen, aber dann fiel ihm etwas anderes ein - »Ja, ich habe auch meine hellen Momente« - er fing liebenswürdig zu grinsen an und sprach also:
    Wir können schließlich nicht alle in Lumpen gehen.
    Im Weggehen sah er noch, dass der linke Schuh des Alten zerrissen war. Ein Turnschuh. Früher nannten wir diese Sorte: chinesische. Er ging rasch weg, er hielt es nicht für ausgeschlossen, dass der Alte ihm an den Kragen gehen und dass er kräftiger sein könnte, als er auf den ersten Blick aussah. Er hatte lange Fingernägel. Rasch, unters Volk!
    Jetzt sah er wirklich so aus wie ein eiliger Businessmann, für den Zeit nichts Geringeres als pures Geld ist. Der silberne Laptopkoffer schwang kraftvoll in seiner
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